„Insane In The Brain“ – In Zypern wird gerade ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen

Am frühen Samstagmorgen mussten Kunden zypriotischer Banken eine bittere Erfahrung machen: Eine Garantie ist nur so stark wie derjenige, der sie abgibt. Da das zypriotische Bankensystem finanzielle Hilfen in Höhe von 10 bis 12 Mrd. Euro benötigt – was rund 60 Prozent des BIPs entspricht – wurde die Regierung des Landes gezwungen, einer Kostenbeteiligung der Kontoinhaber zuzustimmen. So kam für Bankkunden, die am Freitag noch in dem Glauben ins Bett gegangen waren, ihre Spareinlagen seien sicher, am Samstag dann das bittere Erwachen. Zwischenzeitlich war nämlich vereinbart worden, dass Bankeinlagen von unter 100.000 Euro mit 6,75 Prozent „besteuert“ werden, während Guthaben von mehr als 100.000 Euro mit 9,9 Prozent „besteuert“ werden. Damit werden insgesamt etwa 6 Mrd. Euro der Bankenrettung auf die Bankenkunden abgewälzt, und zwar ungeachtet möglicher Einlagenabsicherungs-Mechanismen. Als Entschädigung erhalten die Kontoinhaber Aktien der entsprechenden Banken sowie möglicherweise auch Anleihen, mit denen Kunden, die ihr Geld den betroffenen Banken mindestens zwei Jahre zur Verfügung stellen, dann an den zukünftigen Einnahmen der zypriotischen Gasvorkommen beteiligt werden. Die übrigen 4 bis 6 Mrd. Euro werden vermutlich von der Troika bereitgestellt werden.

Wenn man den Presseberichten Glauben schenken kann, handelte es sich dabei um ein „Friss-oder-stirb-Angebot“ der Troika, weil die Finanzminister Deutschlands und Finnlands nicht bereit waren, die Zustimmung ihrer jeweiligen Parlamente einzuholen, ohne auch die zypriotischen Sparer an den Kosten der Rettungsaktion zu beteiligen. Darin spiegelt sich auch ein sehr handfestes nationalpolitisches Problem innerhalb der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wider, das seinerseits wiederum neue Schwierigkeiten mit sich bringt.

Erstens gehen damit schwerwiegende politische Probleme einher. So wird diese Vorgehensweise im Inland wahrscheinlich auf heftigen Widerstand stoßen, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil einheimische Bankkunden damit überproportional hart bestraft werden – zumal diese ja davon ausgegangen waren, dass ihre Ersparnisse bis zu 100.000 Euro abgesichert sind  und besser als diejenigen vermögender ausländischer Kontoinhaber, die bei diesen Banken nachweislich hohe Summen deponiert haben, dastehen. An dieser Stelle könnte man anmerken, dass eigentlich Kunden mit Spareinlagen von über 100.000 Euro die Hauptlast jeder geplanten Bankenrettung tragen sollten. Mit ihrer lediglich knappen Mehrheit im Parlament könnte die zypriotische Regierung allerdings Probleme haben, das erforderliche Gesetz zu verabschieden. Außerdem bedürfte es auch einer Zustimmung der übrigen Mitgliedsstaaten der Eurozone.

Zweitens scheinen sich die Durchsetzbarkeit steuerfinanzierter Rettungsaktionen mittlerweile zu erschweren. Ein Beispiel dafür ist auch die jüngste Enteignung von Besitzern nachrangiger Obligationen der SNS Reaal. Obwohl während dieser Krise bereits sowohl Aktien als auch Anleihen abgeschrieben werden mussten, ist der Rubikon in Form von einer Beteiligung von Bankkunden mit Spareinlagen aber inzwischen überschritten worden. So liefert dieser Ansatz einer Sozialisierung von Verlusten damit inzwischen einen Präzedenzfall für die Eurozone insgesamt. Obwohl die Troika vermutlich alles daransetzen wird, diesen Umstand herunterzuspielen, könnte diese Vorgehensweise noch ungeahnte Folgen nach sich ziehen.

Drittens erinnert uns die aktuelle Lage Zyperns daran, wie unterschiedlich die Ansätze zum Schutz der Sparguthaben in Europa derzeit immer noch sind. Denn Garantien für Sparguthaben sind nur so stark wie die Staaten, die diese Garantien gewähren. Im Falle von Zypern, dessen Bankensystem siebenmal so groß ist wie die Wirtschaft des Landes, sind solche Garantien natürlich nicht gerade viel wert. Und angesichts der sehr niedrigen Guthabenzinsen, die Kontoinhaber in ganz Europa derzeit für ihre Bankeinlagen erhalten, kann sich das Verhalten der Anleger sehr schnell ändern.

Viertens ergeben sich daraus konkrete Fragen hinsichtlich der Präferenzen von Kontoinhabern. Zurzeit sind zypriotische Bankenanleihen im Wert von lediglich rund 2 Mrd. Euro im Umlauf. Für eine Rekapitalisierung des Bankensystems ist diese Summe nach Einschätzung der politischen Entscheidungsträger aber zu gering. Das kann durchaus sein. Die Bevorzugung vorrangiger Anleihen gegenüber den Spareinlagen der Kunden wirft jedoch die Frage auf, ob Otto Normalverbraucher theoretisch nicht eher in höher rentierliche Bankenanleihen investieren sollte statt sein Geld auf einem Sparkonto zu deponieren.

Fünftens hat die EZB offensichtlich damit gedroht, die im Rahmen der so genannten „Europäischen Liquiditätshilfen“ (ELA) für die zweitgrößte Bank Zyperns, die Laiki Bank, zur Verfügung gestellten Finanzmittel zurückzuziehen, falls man diesen Maßnahmen nicht zustimmt. Dann müsste der Staat Zypern die Zeche für die Rettung des gesamten Bankensektors selbst zahlen und gleichzeitig in vollem Umfang für die garantierten Spareinlagen geradestehen. Dies illustriert das Ausmaß, in dem eine Vielzahl europäischer Banken immer noch von Finanzhilfen der EZB abhängig ist und zusammenbrechen würde, falls diese Finanzmittel nicht mehr fließen würden.

Schließlich haben wir nun also ein weiteres Beispiel für ein Land, das vor der schweren Entscheidung steht, einen Teil seiner Souveränität an Brüssel abzugeben oder vor dem finanziellen Ruin zu stehen. Das Projekt Eurozone verlangt seinen Bürgern also immer noch sehr viel ab. Schließlich sind Rettungen nicht billig, und werden es auch in Zukunft nicht sein.

Die zypriotische Vereinbarung wird die Schlagzeilen wohl auch noch in den nächsten Tagen bestimmen. Und vermutlich werden die Märkte in den nächsten Wochen verstärkt dem Song „Insane In The Brain“ von Cypress Hill lauschen. Vielleicht sollte sich auch die Troika dieses Stück einmal anhören.

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Stefan Isaacs

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