Die französische Regierung sollte schleunigst weitere Steuer- und Arbeitsmarktreformen in Angriff nehmen

Frankreich verfügt über ein wirklich einzigartiges Sozialsystem. Es stammt aus der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als der Nationale Widerstandsrat (CNR) in aller Eile einen Plan entwickeln musste, um das Land nach fünf Jahren Besatzung durch Nazi-Deutschland wieder aufzubauen. Obwohl der CNR offiziell keinem bestimmten politischen Lager angehörte, stand das Gremium unter dem Einfluss linksgerichteter Personen sowie der kommunistischen Partei „Nationale Front“. Der „Aktionsplan“ des CNR trug maßgeblich zur Gestaltung des Nachkriegs-Frankreich bei und ist einer der Gründe dafür, dass die Gewerkschaften in Frankreich auch heute noch eine so bedeutende gesellschaftliche Rolle spielen und die Franzosen so viel Wert auf ihre „verbürgten sozialen Rechte“ legen.

Seitdem hat es sich stets als schwierige Aufgabe erwiesen, in Frankreich Reformen umzusetzen. Nachdem in der vergangenen Woche aber vermeldet wurde, dass die Wirtschaft dieses Landes im nunmehr zweiten Quartal in Folge stagniert hat, scheint zumindest an einer „gewissen“ Veränderung nun offenbar kein Weg mehr vorbeizuführen. Im letzten Jahr hat Frankreich ein Wachstum von lediglich 0,1 Prozent vorgelegt. Darüber hinaus weist der Staatshaushalt trotz extrem niedriger Zinsen und einer Verschärfung der Fiskalpolitik immer noch ein strukturelles Defizit auf, während die Verschuldung im Vergleich zum BIP von vormals 77 Prozent zuletzt auf 93 Prozent angestiegen ist. Noch beunruhigender aber ist der Umstand, dass die Zahl der Arbeitssuchenden trotz des sehr lautstark geäußerten Versprechens des französischen Staatspräsidenten Hollande, „bei der Arbeitslosenquote eine Trendwende herbeizuführen“, momentan alarmierend rasant ansteigt. Dadurch werden sowohl das Verbrauchervertrauen als auch die Investitionsausgaben der Unternehmen belastet.

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Was aber kann die Regierung Hollande in einem Land, in dem Reformen so schwer umzusetzen sind und in dem der Spielraum bei den Staatsausgaben so begrenzt ist, überhaupt tun?

Zuallererst sollte er versuchen, das äußerst komplizierte Steuersystem in Frankreich, das im Laufe der Jahre fast unverständlich geworden ist, wieder zu vereinfachen. Auch die französische Wirtschaft wird durch dieses Hin und Her beim Steuerrecht nach wie vor beeinträchtigt, weil dadurch eine Unsicherheit entsteht, welche die Unternehmen auch bei ihren Investitionsplänen hemmt. So hat der französische Gesetzgeber allein in den vergangenen zwei Jahren 84 neue Steuern eingeführt, mit denen insgesamt 60 Mrd. Euro eingenommen wurden.

Darüber hinaus muss die Regierung die Belastung des Unternehmenssektors durch die Sozialversicherungsbeiträge reduzieren. Derzeit entfallen 17 Prozent des französischen BIP auf Sozialversicherungsbeiträge. Damit ist dieser Anteil so hoch wie in keinem anderen der 28 EU-Staaten. Obwohl dies nach Meinung vieler Franzosen der Preis ist, den man für die Finanzierung von Frankreichs großzügigem Sozialsystem nun einmal bezahlen muss, verlässt man sich dabei aber in zu hohem Maße auf die Unternehmen. In den anderen europäischen Ländern werden die Sozialversicherungsbeiträge in der Regel zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. In Frankreich hingegen haben die Arbeitgeber fast 70 Prozent dieser Beiträge zu entrichten. Dies aber hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Lohnkosten und beeinträchtigt so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen angesichts einer immer stärker globalisierten Welt. Die französische Regierung hat dieses Problem zwar bereits in Angriff genommen, indem sie den französischen Firmen in ihrer Gesamtheit Steuernachlässe in Höhe von insgesamt 20 Mrd. Euro eingeräumt hat, es muss aber noch wesentlich mehr getan werden. So müssten die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber eigentlich sogar um weitere 80 Mrd. Euro pro Jahr gesenkt werden, damit Frankreich in dieser Hinsicht mit seinem Nachbarn Deutschland konkurrieren kann.

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Schließlich sollte sich die Regierung auch um die übertriebene Bürokratie am Arbeitsmarkt kümmern. So weigern sich viele kleinere Firmen beispielsweise, über eine Mitarbeiterzahl von 50 Arbeitnehmern hinaus zu wachsen, weil dann eine Reihe regulatorischer und rechtlicher Verpflichtungen auf sie zukommen würden. An dieser Stelle wäre es sinnvoll, diese Grenze auf 250 Mitarbeiter zu erhöhen, um diese französischen Vorgaben an europäische Normen anzupassen. Darüber hinaus umfasst das französische Arbeitsgesetzbuch stolze 3.500 Seiten und wiegt 1,5 Kilo, während sein schweizerisches Pendant (wo die Arbeitslosenquote derzeit bei 3 Prozent liegt), gerade einmal 130 Seiten lang ist und nur 150 Gramm auf die Waage bringt (nebenbei bemerkt könnte ein Vergleich der Arbeitslosenquoten diverser Länder mit dem Seitenumfang der entsprechenden Arbeitsgesetzbücher auch einmal ein Thema für einen zukünftigen Blog-Beitrag sein). Dieses Übermaß an Bürokratie ist auch ein Grund dafür, dass die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs in den letzten Jahren gesunken ist. In dem jüngsten Bericht des Weltwirtschaftsforums zur globalen Wettbewerbsfähigkeit rangierte Frankreich zuletzt auf dem 23. Platz, während es 2013 noch auf Rang 21 und 2012 sogar noch auf Rang 18 gelegen hatte. Noch beunruhigender jedoch ist, dass das Land von insgesamt 148 Staaten beim Faktor „Effizienz des Arbeitsmarktes“ auf Platz 116, beim Aspekt „Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern“ auf Rang 135 und beim Kriterium „Einstellungs- und Entlassungspolitik“ sogar abgeschlagen auf Platz 144 landete. Auf die Frage, wodurch Unternehmen die Geschäftstätigkeit in Frankreich besonders erschwert wird, nannten die meisten Firmen als größte Belastung die „restriktiven Arbeitsmarktbestimmungen“.

Da Frankreich momentan am Rande einer Rezession taumelt, befindet sich Hollande in einer sehr schwierigen Lage. Das französische Sozialsystem komplett umzukrempeln würde bei der Bevölkerung wohl viele Unruhen auslösen und könnte Frankreich sogar in die Rezession treiben. Andererseits dürfte es genau denselben Effekt haben, wenn man einfach nichts tut, weil die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs dann auf globaler Ebene noch weiter in Mitleidenschaft gezogen werden würde. In einer aktuellen Studie, die in der Zeitung „Le Monde“ veröffentlich wurde, gaben 60 Prozent der Befragten an, mit dem französischen Sozialsystem zufrieden zu sein. Gleichzeitig erklärten aber 64 Prozent, dass dieses System zumindest teilweise reformiert werden sollte. Die französische Regierung sollte dies als Hinweis darauf sehen, dass innerhalb des französischen Steuersystems sowie an den Arbeitsmärkten durchaus gewisse Anpassungen vorgenommen werden können und man trotzdem in zwei Jahren wiedergewählt werden könnte. Und da die Popularität der Regierung zurzeit auf einem Allzeittief liegt, während die Arbeitslosigkeit ein Allzeithoch erreicht hat, sollte man keine Zeit mehr vergeuden.

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Pierre Chartres

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