Lohninflation: 2013 geraten die Lohnkosten in Deutschland unter Aufwärtsdruck

Als ich Deutschland vor mehr als dreieinhalb Jahren verlassen habe, ließ es sich dort wirklich gut leben. Der polarisierenden Supermacht im deutschen Fußball Bayern München war es gerade misslungen, in der Bundesliga einen weiteren Meistertitel zu holen, Pferdefleisch wurde ausschließlich freiwillig in Form von „Rheinischem Sauerbraten“ verzehrt und etwa 40 Millionen Deutsche hatten einen Arbeitsplatz. Und allen derzeit schlechten Nachrichten zum Trotz – so führt Bayern München die Bundesliga-Tabelle unangefochten an, während Pferdefleisch inzwischen offenbar zu einer Grundzutat fast jedes Fertiggerichts avanciert ist – ist Deutschland kein weniger lebenswerter Ort. Schließlich liegt die Beschäftigung in absoluten Zahlen derzeit auf einem Rekordhoch, während die Arbeitslosenquote konstant 6,9 Prozent beträgt.

Obwohl einige Peripheriestaaten bei der Senkungen ihrer Lohn-Stück-Kosten (wie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, prognostiziert) zuletzt gewisse Fortschritte gemacht haben, indem einschneidende Sparmaßnahmen umgesetzt wurden, ist die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands innerhalb Europas immer noch außerordentlich hoch. Zudem sind Sparmaßnahmen eine sehr bittere Pille, die es zu schlucken gilt. Deshalb bezweifle ich, dass die Griechen, die Spanier und (angesichts des Ausgangs der jüngsten Wahlen) insbesondere die Italiener bereit sind, die ihnen verschriebene Dosis solange einzunehmen, bis ihre jeweiligen Volkswirtschaften in punkto Wettbewerbsfähigkeit wieder mit Deutschland mithalten können.

Aus diesem Grund wird allgemein argumentiert, dass eine Neuausrichtung der Eurozone nicht nur mittels struktureller Reformen in den Peripheriestaaten, sondern auch in Form einer internen Abwertung der europäischen Kernvolkswirtschaften erfolgen muss. Im Gegensatz zu zur europäischen Peripherie, die momentan bestrebt ist, die Lohnkosten zu senken, verzeichnete die deutsche Wirtschaft 2012 im dritten Jahr hintereinander ein Wachstum der Reallöhne, weil die Arbeitnehmer dort nach Jahren der Zugeständnisse nun aber Gehaltserhöhungen fordern. Außerdem hat der Konjunkturabschwung aus dem letzten Quartal die Pläne der Firmen zur Einstellung neuer Mitarbeiter sowie das allgemeine Unternehmervertauen nur geringfügig beeinträchtigt. Doch vor allem befindet sich Deutschland zurzeit im Wahlkampf.

So stiegen die SPD, die Grünen und die Partei „Die Linke“ Anfang März mit dem Thema „soziale Gerechtigkeit“ offiziell in den Bundestagswahlkampf ein. So votierte der deutsche Bundesrat, in dem diese drei Parteien mittlerweile die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen, zuletzt für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde (was bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft von 35 Stunden dann einem Monatslohn von etwa 1.300 Euro entspräche).

Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder, in dem es bisher noch keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Der vorgeschlagene Mindestlohn würde in etwa dem Mindestlohnniveau in Großbritannien entsprechen, läge aber unter den Mindestlöhnen in Frankreich, den Niederlanden – und Irland (bei einem Blick auf die nachfolgende Grafik habe ich mich gefragt, ob dieser Umstand vielleicht einer der Gründe dafür ist, weshalb in Irland nicht so viele Menschen auf die Straße gegangen sind wie in Spanien oder Griechenland). Allerdings muss der deutsche Bundestag, in dem die Koalition aus CDU und FDP derzeit die Mehrheit hat, diesem Gesetzentwurf zustimmen. Es ist zwar äußerst unwahrscheinlich, dass das Gesetz in seiner aktuellen Fassung letztlich verabschiedet wird, doch Angela Merkel gerät dadurch unter enormen Druck, bei diesem Thema Zugeständnisse zu machen und in Deutschland eine wie auch immer geartete Lohnuntergrenze einzuführen.

Der Aufwärtsdruck auf die Löhne in Deutschland resultiert in erster Linie daraus, dass momentan viele Tarifvereinbarungen zwischen den mächtigen Gewerkschaften und den Arbeitgebern auslaufen. So geht man davon aus, dass die Tarifverträge für 12,5 Millionen Arbeitnehmer (oder rund 30 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland) im Jahr 2013 neu verhandelt werden. Dabei vertreten die Gewerkschaften Ver.di und IG Metall allein in diesem Jahr die Interessen von etwa 9 Millionen deutschen Arbeitnehmern. Die Lohnverhandlungen mit den größten Auswirkungen betreffen die Branchen Metall und Elektro (mit insgesamt rund 3,4 Millionen Arbeitnehmern), den Einzelhandel (mit 1,3 Millionen Mitarbeitern), den Großhandelssektor (mit 780.000 Arbeitnehmern) sowie das Baugewerbe (mit 650.000 Mitarbeitern).

Wie lauten also die Forderungen der Gewerkschaften? In der letzten Woche wurde eine der ersten neuen Tarifvereinbarungen geschlossen. Dabei verständigten sich die Gewerkschaft Ver.di sowie Vertreter der öffentlichen Hand für die rund 800.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf einen Lohnanstieg von 5,6 Prozent in den nächsten zwei Jahren (+2,65 Prozent im Jahr 2013 und +2,95 Prozent in 2014). Darüber hinaus wurde die Übernahme sämtlicher Auszubildender garantiert und ein einheitlicher Urlaubsanspruch von 30 Tagen pro Jahr vereinbart. Derweil verlangt die IG Metall für die Metall- und Elektroindustrie momentan ein nominales Gehaltsplus von 5,5 Prozent, während die IG Bau für die Beschäftigten in der Baubranche 6,6 Prozent mehr Geld fordert. Zweifellos könnte dies zur Folge haben, dass die Reallöhne eines beträchtliche Teils der 41,7 Millionen Beschäftigten in Deutschland kräftig ansteigen werden.

Vor allem in Wahlkampfzeiten darf man die Macht der deutschen Gewerkschaften nicht unterschätzen. Traditionell wählen die deutschen „Arbeiter“ eher linksgerichtete Parteien. Deshalb werden die Sozialdemokraten auch alles daran setzen, die Gewerkschaften zu unterstützen. Angela Merkel wird also einen Weg finden müssen, auf die Forderungen der Gewerkschaften nach Lohnsteigerungen zu reagieren, weil sie die 12,5 Millionen Arbeiter ansonsten praktisch direkt in die Arme ihrer politischen Gegner treiben würde. Und das könnte sie sich gar nicht leisten.

In Deutschland haben wir es also zweifellos mit einer Lohninflation zu tun. Und der deutschen Wirtschaft könnte diese Entwicklung zum jetzigen Zeitpunkt gerade recht kommen. Denn angesichts eines Umfelds, in dem die Nachfrage aus der Eurozone nach deutschen Gütern nicht anziehen wird, während die chinesische Nachfrage nach Produkten „made in Germany“ gleichzeitig offenbar zusehends nachlassen wird, wäre es meiner Meinung nach durchaus erfreulich, wenn die deutschen Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche hätten und damit den Binnenkonsum ankurbeln könnten. Schließlich würde dadurch die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von den Exporten sinken. Doch natürlich bewegt sich die deutsche Wirtschaft hier auf einem sehr schmalen Grat. So könnte ein übermäßiges Lohnwachstum die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stark beeinträchtigen. Bei dem vorgeschlagenen Mindestlohn sehen wir diese Gefahr allerdings nicht, weil er uns zu niedrig erscheint, um unmittelbar negative Auswirkungen zu haben. Längerfristig besteht jedoch das Risiko, dass zukünftige Regierungen das Mindestlohnniveau als beliebtes Mittel einsetzen könnten, um im Vorfeld von Parlamentswahlen die Gunst der Wähler für sich zu gewinnen.

Auf kurze Sicht könnten die neuen Tarifvereinbarungen jedoch vergleichsweise größere Auswirkungen auf das allgemeine Lohnniveau haben. Die strengen Modellrechnungen der Bundesbank deutet darauf hin, dass um 2 Prozent höhere Reallöhne in Deutschland das BIP-Wachstum um 0,75 Prozent beeinträchtigen würden und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 1 Prozent zur Folge hätten. Dieselben Modellrechnungen sprechen aber auch dafür, dass eine geringere Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft für die Peripheriestaaten aufgrund der Struktur der Handelsströme praktisch keine Folgen hätte. Dieser insgesamt negative Effekt auf den Handel in Europa ist auf das zurückzuführen, was Bundesbankpräsident Jens Weidmann als die Erkenntnis bezeichnet hat, „dass Europa keine Insel ist, sondern Teil einer globalisierten Welt“. Wir fänden es interessant zu sehen, was die Modellrechnungen ergeben würden, wenn man eine Abwertung des japanischen Yen um 30 Prozent und einen Rückgang des Pfund Sterling um 20 Prozent gegenüber dem Euro berücksichtigen würde, und für welche Reaktion sich die Bundesbank dann aussprechen würde.

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Markus Peters

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