Vorsicht vor dem Niedergang des ungarischen Forint

Gastautor: Tolani Benson (Analyst für Finanz- und Staatsanleihen im M&G-Team für die Kreditanalyse)

Ungarn hat eine beträchtliche Summe an ausstehenden Zahlungsverpflichtungen. Nach Schätzungen des IWF beliefen sich diese per Ende letzten Jahres auf rund 75 Mrd. Euro, was 74 Prozent des BIP entspricht. Gleichzeitig sind die Märkte für in lokaler Währung denominierte ungarische Anleihen recht stark in den Schwellenländerindizes vertreten und repräsentieren beispielsweise auch nicht unerhebliche 4,6 Prozent des gängigen JP Morgan GBI-EM Global Diversified-Index. Deshalb würden ein Wertverlust ungarischer Staatsanleihen und/oder eine Abwertung des ungarischen Forint zwangsläufig auch zu einer negativen Entwicklung des Index führen.

Sie sind nicht an den Schwellenländermärkten investiert? Nun, ein Großteil der ungarischen Staatsanleihen befindet sich im Besitz ungarischer Banken, die wiederum zu westeuropäischen Bankenkonzernen gehören, die Ihnen vielleicht eher vertraut sind. So entsprachen die Engagements der drei größten, in ausländischem Bankenbesitz befindlichen ungarischen Bankinstitute in Form ungarischer Staatsanleihen zum Jahresende 2011 (die Zahlen für 2012 liegen seitens der ungarischen Banken bisher noch nicht vor) zwischen 10 und 25 Prozent des materiellen Eigenkapitals ihrer jeweiligen Muttergesellschaften. Und seit 2008 waren die drei großen Mutterkonzerne dieser Banken ausnahmslos gezwungen, von ihren jeweiligen Regierungen Finanzhilfen in Anspruch zu nehmen. Eine Abschreibung ihrer Positionen in ungarischen Staatsanleihen wäre wohl für keine dieser Banken lediglich eine Lappalie. Darüber hinaus setzt man anstelle staatlicher Finanzspritzen bei der Rekapitalisierung von Banken in der Eurozone mittlerweile zunehmend darauf, Inhaber unbesicherter vorrangiger und nachrangiger Anleihen oder nicht garantierter Spareinlagen in die Pflicht zu nehmen, wie dies auch bei dem Debakel in Zypern diese Woche zu beobachten war.

Was also passiert gerade in Ungarn? Die ungarische Währung, der Forint, gilt seit jeher als Euro-Pendant mit einem hohen Beta (siehe Grafik). Allerdings hat sich diese Währung seit Mitte Oktober stark unterdurchschnittlich entwickelt und gegenüber dem Euro um 10 Prozent abgewertet. Am Freitag sank der Forint dann schließlich auf ein 52-Wochentief, nachdem S&P seinen Ausblick für Ungarn auf „negativ“ gesenkt hatte (derzeit wird dieses Land von der Agentur noch mit BB geratet).

Seit Ende 2012 hat der ungarische Forint gegenüber dem Euro stark abgewertet

An dieser Stelle könnte man anführen, dass eine abwertende Währung für einen hoch verschuldeten Staat, der zudem noch unter einer stagnierenden Konjunktur leidet, ein positiver Faktor sein sollte. Schließlich wird Ungarn dadurch wettbewerbsfähiger, die Wirtschaftsaktivitäten ziehen an, die Staatseinnahmen steigen und das Haushaltsdefizit sinkt ebenso wie die Staatsverschuldung – toll!

Wenn die Dinge nur so einfach wären. Vielmehr stellt die Schwäche des Forint Ungarn vor ein ernstes Problem. Denn die gesamte Wirtschaft des Landes – der Staat, seine Bürger sowie die Unternehmen – hat in hohem Maße Kredite in Fredmwährung aufgenommen. Je deutlicher der Forint also abwertet, desto teurer wird es sowohl für die öffentliche Hand als auch für den Privatsektor, Verbindlichkeiten zu bedienen. Außerdem befindet sich fast die Hälfte aller in lokaler Währung denominierten Staatsanleihen in den Händen ausländischer Investoren (siehe Grafik). Deshalb sind diese Papiere für Abwertungen beim Forint äußerst anfällig. Falls sich die ausländischen Anleger wirklich aus diesem Markt zurückziehen sollten, würden die Finanzierungskosten Ungarns deutlich ansteigen und damit eine Refinanzierung sehr erschweren. Nach Einschätzung der EZB beläuft sich die Bruttoauslandsverschuldung Ungarns (d.h. die Verbindlichkeiten gegenüber ausländischen Gläubigern einschließlich lokaler Anleihen, die sich im Besitz ausländischer Investoren befinden) momentan auf fast 130 Prozent des BIP. In ihren Ausführungen „Growth in a time of debt“ (Wachstum in Schuldenzeiten) kamen die Volkswirte Reinhart und Rogoff zu dem Ergebnis, dass das Wirtschaftswachstum eines Landes stark in Mitleidenschaft gezogen wird, sobald die externe Verschuldung mehr als 60 Prozent des BIP entspricht. Bei einer externen Verschuldung von über 90 Prozent des BIP halbiert sich die Wachstumsrate sogar. Zusammen mit Miguel Stevanso stellten sie in ihrer Studie „Debt intolerance“ (Schuldenintoleranz) aus dem Jahr 2003 fest, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Zahlungsverzug oder eine Nichtbedienung von Schwellenländer-Staatsanleihen dann deutlich steigt, wenn das Verhältnis externe Verschuldung/Bruttosozialprodukt bei über 30 bis 35 Prozent liegt. Da Ungarn diese Grenzwerte aber bereits deutlich überschritten hat, sollten inzwischen also sämtliche Alarmglocken schrillen.

Fast die Hälfte aller ungarischer Staatsanleihen in lokaler Währung befindet sich im Besitz ausländischer Investoren

 

Obwohl die Handelsbilanz Ungarns von der Schwäche des Forint profitiert, reicht dies allein aber nicht aus. Denn obwohl das Land im Jahr 2012 einen Handelsüberschuss von 6,8 Mrd. Euro vorgelegt hat, schrumpfte das BIP gleichzeitig um 1,5 Prozent. Darüber hinaus ist die Arbeitslosigkeit hoch und steigt sogar noch weiter an. So kletterte die Arbeitslosenquote im Januar dieses Jahres auf 11,2 Prozent. Außerdem sind ungarische Unternehmen durch die Kreditkrise in Mitleidenschaft gezogen worden. Diese Entwicklung war den staatlichen Maßnahmen zur Reduzierung in ausländischen Währungen denominierter Verbindlichkeiten der Bürger geschuldet, im Rahmen derer in großem Stil private Kredite abgeschrieben wurden. Diese Maßnahmen führten bei den Banken dann zu Verlusten und beeinträchtigten gleichzeitig die Fähigkeit der Institute, Kredite zu vergeben. Und darin liegt auch der Ursprung der meisten Probleme Ungarns: in der Politik der Regierung.

Seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2010 hat die amtierende Regierung bereits für jede Menge Kontroversen gesorgt und eine Vielzahl kontraproduktiver politischer Entscheidungen getroffen. Außerdem wurde die ungarische Verfassung in dieser Zeit bereits unzählige Male geändert. Diese Maßnahmen treiben den Investoren Sorgenfalten auf die Stirn, so dass der Forint zuletzt abwertete. Gleichzeitig ist das Unternehmensumfeld in Ungarn immer noch viel zu instabil, um ausländische Investitionen anzuziehen, die für ein Wachstum aber von entscheidender Bedeutung sind. Die Gründe dafür sind immer neue aufsichtsrechtliche Änderungen, die steuerliche Belastung der Schwerindustrie sowie der Umstand, dass Privatunternehmen verstaatlicht werden könnten. Darüber hinaus hat die ungarische Regierung zuletzt auch eine fragwürdige Wirtschaftspolitik betrieben, die weniger auf wirklich strukturelle Reformen setzt, sondern eher auf einmalige Faktoren, wie die äußerst umstrittene Eingliederung der privaten Altersvorsorge der Bürger in die Staatsbilanz, abzielt. Auch das Verhalten, das die ungarische Regierung gegenüber dem IWF gezeigt hat, seit sie im Jahr 2011 einen Antrag auf Hilfskredite gestellt hatte, kann nur als widerspenstig bezeichnet werden, zumal diverse staatliche Ressorts jeglichen Hilfsbedarf abgestritten haben. Darüber hinaus wurde in den lokalen Medien eine staatlich initiierte Hetzkampagne gegen den IWF veröffentlicht, in welcher der IWF als eine Bedrohung für die Souveränität des Landes dargestellt wurde. Deshalb überrascht es auch nicht, dass eine Einigung mit dem IWF zurzeit offenbar kaum möglich ist.

Noch beunruhigender als ihre Wirtschaftspolitik sind allerdings die Veränderungen, welche die Regierung bei zentralen staatlichen Institutionen vorgenommen hat. So wurde die Unabhängigkeit der Notenbank unterwandert, indem der Regierung die Kontrolle über die Ernennung und die Entlassung ihrer Mitglieder übertragen wurde. Außerdem wurde der ehemalige ungarische Wirtschaftsminister zum Notenbankchef ernannt und löste damit den bisherigen, einer konservativen Geldmarktpolitik verpflichteten Chef-Währungshüter András Simor ab. Dieser hatte sich gegen jegliche Bestrebungen der Regierung, die Geldmarktpolitik zu beeinflussen, konsequent zur Wehr gesetzt. Den größten Anlass zur Sorge gibt allerdings der Umstand, dass man das Verfassungsgericht seiner wichtigsten Funktion beraubt hat. So können die Verfassungsrichter im Grunde genommen verfassungswidrige Gesetze inzwischen nicht mehr aufheben und sind damit wohl nur noch für verfahrensrechtliche Fragen zuständig. Außerdem können frühere Entscheidungen des Verfassungsgerichts mittlerweile ebenfalls außer Kraft gesetzt werden. Damit kann die Regierung nun praktisch alle Entscheidungen, die das Verfassungsgericht in der Vergangenheit zum Schutz der ungarischen Bevölkerung getroffen hat, aufheben.

Als Mitglied der EU sind die Maßnahmen der ungarischen Regierung zwar nicht unbemerkt geblieben, wurden bisher allerdings nicht wirklich sanktioniert. Ungarn erinnert an einen ungezogenen Schüler, der jeden Tag ins Büro des Direktors – in diesem Fall der Europäischen Kommission – zitiert wird. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um dumme Lausbubenstreiche, sondern um ein wirklich besorgniserregendes Verhalten. Sollte der allmähliche Niedergang des Forint nämlich anhalten, wird es die ungarische Bevölkerung sein, die unter einer stagnierenden Konjunktur, einer Kreditkrise sowie dem schrittweisen Entzug ihrer Grundrechte leiden wird. Darüber hinaus werden die Ungarn um eine lange andauernde Phase einschneidender Sparmaßnahmen vermutlich nicht herumkommen, wenn die Regierung das Land nach Jahren schwerwiegender politischer Fehler irgendwann vor die Wand gefahren hat und der IWF letztlich doch zur Hilfe eilen muss. Falls solche Hilfsmaßnahmen seitens des IWF aber auch eine Restrukturierung der Staatsschulden vorsehen sollten, müssen sich aber auch die Inhaber von Schwellenländeranleihen sowie die Gläubiger einiger großer westeuropäischer Banken möglicherweise auf schmerzhafte Erfahrungen gefasst machen.

Der Wert der Vermögenswerte des Fonds und die daraus resultierenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen. Dies führt dazu, dass der Wert Ihrer Anlage steigen und fallen wird, und Sie bekommen möglicherweise weniger zurück, als Sie ursprünglich investiert haben. Die frühere Wertentwicklung stellt keinen Hinweis auf die künftige Wertentwicklung dar.

Tolani Benson

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