1714 veröffentlichte ein Engländer namens Bernard Mandeville ein Gedicht mit dem Titel: „Die Bienenfabel: oder private Lasterhaftigkeit, öffentlicher Nutzen“. Die Satire handelte von einem Stock wohlhabender, im Luxus schwelgender Bienen. Eines Tages murrten einige von ihnen über das Lasterhafte ihres Lebensstils, worauf hin sich die Bienen von Gier und Extravaganz verabschiedeten. Als die Bienen nicht mehr so viel ausgaben, schwand auch schnell der Wohlstand. Das Paradoxon von Mandeville lautete: Genügsamkeit und Tugendhaftigkeit führen nicht zu Wohlstand und ökonomischer Überlegenheit. Wenn die Menschen mehr ausgeben würden, hätten sie auch mehr.
Damals war der Gedanke revolutionär. Seinerzeit glaubte man allgemein, der beste Weg zum Wohlstand sei das Sparen, nicht das Ausgeben. Wenn die Menschen aber mehr kaufen würden, würde dies eine Positivschleife in Gang setzen, von der alle profitieren. Die Menschen hätten mehr Arbeitsplätze, höhere Löhne, höhere Gewinne und höhere Lebensstandards.
Das war vor 300 Jahren. Heute dreht sich in der entwickelten Welt alles um den Konsum. Die meisten von uns haben schon lange aufgegeben, selbst etwas zu produzieren. Viele Unternehmen konnten die Produktion gar nicht schnell genug ins Ausland verlagern, um in Schwellenländern von den dort niedrigen Löhnen zu profitieren. Dadurch sanken die Güterpreise, denn ein Teil der Kosteneinsparungen wurde an die Endverbraucher weitergegeben.
In den USA machen die Konsumausgaben der Haushalte (d.h. der Marktwert aller von Privathaushalten gekauften Güter und Dienstleistungen) etwa 68 Prozent des BIP aus. In Großbritannien liegt dieser Wert bei etwa 65 Prozent des BIP. Die deutschen und japanischen Konsumausgaben betragen etwa 56 bzw. 61 Prozent. In diesen riesigen entwickelten Wirtschaften hängen also etwa zwei Drittel des BIP vom Konsum ab. Wächst der Konsum schnell, legt in der Regel auch das Wirtschaftswachstum zu.
Dieser Zusammenhang ist in Wirtschaft und Politik wohl bekannt. Ganz neu ist hingegen ein vom IWF Ende vergangenen Jahres veröffentlichtes Arbeitspapier mit dem Titel „Die Reichen und die große Rezession“. Aus einer Analyse der US-Rezession der Jahre 2008-09 haben die Autoren die Erkenntnis gewonnen, dass die für die Rezession gemeinhin vorgebrachten Makro-Erklärungen fehlerbehaftet sind. So argumentieren die Autoren, dass die Reichen (also die Haushalte mit den höchsten 10 Prozent aller Einkommen und einem durchschnittlichen Nettovermögen von 3,3 Mio. USD) für die Konsumschwankungen während der Hochkonjunktur und der Krise verantwortlich waren (der Finanzaspekt der Krise bleibt in diesem Arbeitspapier unberücksichtigt).
Selbst heute, über sechs Jahre nach der Finanzkrise, durchforsten die Volkswirte auf der Suche nach den Auslösern der Krise immer noch die Trümmer der Weltwirtschaft. Bisher haben sich vor allem zwei makroökonomische Thesen durchgesetzt:
- Die Ungleichheitsthese: Ab den 1980er Jahren stiegen die Einkommen der Reichen mit hohen Rücklagen sprunghaft an, während die Einkommen der Mittelklasse stagnierten. Die Reichen verliehen ihre Ersparnisse an die Mittelklasse, die mit diesem Geld in Immobilien spekulierten und ihren Konsumstandard aufrechterhielten (gemäß dem Tenor: „Was sollen denn sonst die Nachbarn denken“). Das Ende vom Lied war eine überschuldete Mittelklasse, die keine Immobilien mehr kaufte. Dadurch aber brachen die Häuserpreise ein und die Eigentümer der Immobilien gingen entweder insolvent oder mussten mehr sparen, um ihre Schulden zu bedienen. Der starke Anstieg der Benzinpreise zwischen 2004-07 hat die Chancen für eine vom Konsum getragene Konjunkturerholung auch nicht gerade verbessert.
- Die Wohlstandsthese: Der deutliche Anstieg der Vermögenspreise während der Hochkonjunktur verleitete die Verbraucher zu Ausgaben, wodurch die Sparquote sank. Als die Vermögenspreise, zu fallen begannen, ließen die Wohlstandseinbußen der Privathaushalte den Konsum einbrechen.
Beide Theorien konzentrieren sich weitgehend auf die Mittelklasse (per Definition die nach Haushaltseinkommen ärmsten 90 Prozent der amerikanischen Familien) sowie die Auswirkungen der Häuserpreise auf den Konsum und die Sparquoten. Das interessante an dem IWF-Papier ist die neue Analyse zum Verhalten der Reichen im Vorfeld der Krise, denn die genannten Theorien ignorieren die Rolle der Reichen während der Hochkonjunktur und der Krise. Politiker und Notenbanker, die das Wachstum ankurbeln möchten, finden hier womöglich wichtige Anhaltspunkte.
Gemeinhin wird angenommen, dass die Reichen eine niedrigere Grenzneigung zum Konsum haben als die weniger Wohlhabenden. Dass die Sparquote der US-Haushalte über einen 30-Jahreszeitraum auf ein Tief von 2,5 Prozent gefallen ist, scheint die Wohlstandstheorie zu stützen, weil hoher Wohlstandszuwachs zu mehr Konsum führt.
Wäre die Ungleichheitstheorie korrekt, dann müsste die Sparquote in der Volkswirtschaft steigen, weil die Konzentration des Wohlstands im Segment der Reichen höhere Ersparnisse nach sich zog. Die meisten Volkswirte umschiffen dieses Paradoxon (steigende Ungleichheit und sinkende Sparquote) mit dem Argument, dass die gesunkenen Ersparnisse der Mittelklasse die höheren Ersparnisse der Reichen überkompensiert haben. Die IWF-Volkswirte halten es hingegen für wahrscheinlicher, dass die Sparquote gefallen ist, weil die Mittelklasse in Wirklichkeit mehr konsumiert hat, während die Sparquote der Reichen gesunken ist.
Die Theorie, wonach der Rückgang der Sparquote als Ursache der steigenden Häuserpreise von der Mittelklasse verursacht wurde, ist falsch. Zunächst einmal ist die Sparquote schon Jahrzehnte vor der Rezession des Jahres 2008 gesunken. Außerdem ist die Konzentration der Einkommen unter den Reichen mittlerweile so groß, dass deren Sparquote kaum weit vom Durchschnitt abweichen kann. Die Abbildung unten zeigt die stark negative Korrelation zwischen dem Einkommensanteil der Reichen und der Sparquote. Mit anderen Worten: je höher der Einkommensanteil der Reichen, desto niedriger die Gesamtsparquote.
Die wichtigste Schlussfolgerung lautet also, dass die Reichen den Zyklus aus Hochkonjunktur und Krise entscheidend beeinflusst haben müssen, weil vor allem sie es waren, die in diesem Zeitraum ihre Einkommen und ihr Vermögen steigern konnten. Noch nie war die Einkommensverteilung in den USA so ungleich wie heute, und die reichsten 10 Prozent aller amerikanischen Familien besitzen 85 Prozent aller Finanzvermögenswerte. Die quantitative Lockerung und die beispiellos niedrigen Zinsen haben den Wert dieser Finanzvermögenswerte sogar noch weiter gesteigert, denn die Anleger haben ihre Portfolien in höher rentierliche Anlagen umgeschichtet.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „die Reichen mittlerweile einen so großen Teil der Wirtschaft ausmachen und ihr Vermögen so groß und volatil geworden ist, dass Wohlstandseffekte auf ihren Konsum die Wirtschaft signifikant beeinflussen. Damit könnten die Reichen maßgeblich für die Schwankungen des Gesamtkonsums während der Hochkonjunktur und der Krise verantwortlich gewesen sein.“ Diese Schlussfolgerung steht in krassem Gegensatz zu den gängigen Thesen zur Erklärung des Konjunkturzyklus, die sich auf die Rolle der Mittelklasse konzentrieren.
Ein großer Teil des Konsumwachstums, der wichtigsten Komponente des Wirtschaftswachstums in den Industrienationen, beruht zunehmend auf dem Verhalten der Reichen. Wenn Politik und Zentralbanken also das BIP steigern möchten, sollten sie die Reichen dazu ermutigen, mehr zu konsumieren und ihre Sparquote zu senken.
Mandevilles mittlerweile 300 Jahre alte Beobachtung stimmt also immer noch. Die entwickelten Volkswirtschaften im 21. Jahrhundert sind von den Reichen abhängig.
Dank des rasanten Wachstums, das der Markt für hybride (Nicht-Finanz-) Unternehmensanleihen in den letzten Jahren verzeichnet hat, haben nun auch Anleiheninvestoren Zugang zu aktienähnlichen Erträgen. Ebenso wie Aktien sind auch hybride Anleihen im Grunde genommen unbefristeter Natur (obwohl eine Abruf-Option besteht) und bieten dem Emittenten bei den Kuponzahlungen einen gewissen Spielraum. Darüber hinaus stehen sie im Falle einer Liquidation in der Kapitalstruktur zwar über Stammaktien, sind den gängigeren vorrangigen Anleihen jedoch vertraglich untergeordnet.
Wie wir bereits im Jahr 2010 erläutert hatten, gibt es durchaus Gründe, hybride Anleihen zu emittieren. Je nach Emittent sowie entsprechender Kapitalstruktur stufen die Kredit-Ratingagenturen hybrides Kapital nämlich bis zu einem gewisse Grad als Eigenkapital ein. Dies kommt der Bonitätsqualität des jeweiligen Emittenten, der ansonsten auf die guten alten Aktien zurückgreifen müsste, zugute. Außerdem üben hybride Papiere keinen Verwässerungseffekt auf bereits bestehende Eigentümer aus und verletzen auch keine Stimmrechte. Die Emittenten sind ferner in der Lage, hybride Anleihen steuerlich wie Kredite zu behandeln, so dass die Kuponzahlungen ihre zu versteuernden Einnahmen mindern.
Aus der Perspektive eines Emittenten könnten die wirtschaftlichen Überlegungen also in etwa wie folgt aussehen. Lassen Sie uns zunächst einmal einige Grundannahmen formulieren: Ein europäisches Unternehmen kann eine Aktie im Durchschnitt zu 7 Prozent und eine vorrangige Anleihe zu 1,5 Prozent begeben, was nach Steuern einer Rendite von 1 Prozent entspricht. Gehen wir ferner davon aus, dass die Ratingagenturen bei hybriden Papieren eine Eigenkapitalanrechnung in Höhe von 50 Prozent gestatten.
Um ein Verhältnis von Aktien zu Anleihen von 50:50 zu erreichen, kann der Finanzbuchhalter eines Unternehmens entweder eine hybride Anleihe zu – sagen wir einmal – 3 Prozent begeben, deren wahre Kosten sich nach Steuern auf 2 Prozent belaufen, oder aber einen Mix aus 50 Prozent Aktien zu 7 Prozent und 50 Prozent vorrangigen Anleihen zu 1 Prozent (nach Steuern) emittieren. Unter dem Strich belaufen sich die Kosten für die letzt genannte Vorgehensweise auf 4 Prozent und sind damit rund 2 Prozent höher als die Kosten der Emission eines hybriden Papiers.
Insofern spricht also einiges für die Ausgabe von hybridem Kapital. Dieser Umstand dürfte die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere wohl auch in den nächsten Jahren bestimmen. Aus der Sicht eines Anlegers stellt sich die Lage aber möglicherweise ein wenig differenzierter dar.
Ebenso wie alle anderen Finanzmärkte ist auch der Markt für hybrides Kapital in den letzten Jahren durch einen extrem günstigen Diskontsatz gestützt worden. Angesichts einer Welt, in der die Renditen niedrig und der Wunsch, in große, multinational agierende Unternehmen zu investieren, groß sind, treffen hybride Papiere einfach den Nerv vieler Anleger. Denn um dieselbe durchschnittliche Rendite zu erzielen wie hybride Unternehmensanleihen mit einem durchschnittlichen Rating von BBB bzw. BBB-, müsste sich ein Investor in einer vorrangigen Anleihe mit einer Bonität von BB- bzw. B+ (also vier Stufen niedriger) engagieren. Dabei darf man auch nicht außer Acht lassen, dass hybride Papiere aufgrund ihrer vertragsmäßigen Bevorzugung sowieso bereits niedriger geratet sind als die entsprechenden vorrangigen Anleihen.
Hybrides Kapital ist bereits jetzt einer der größten Nutznießer jener Bilanzausweitung, welche die Notenbanken in den letzten Jahren betrieben haben. Nach der QE-Ankündigung der EZB legte dieses Anlagespektrum allein im Januar ein Plus von 2,73 Prozent vor. Und da die Renditen von Anleihen hoch qualitativer Industrieunternehmen derzeit im Prinzip bei 0 Prozent legen, wirkt hybrides Kapital im Verhältnis zu vorrangigen Anleihen derzeit sogar attraktiver denn je. Da der Nenner in dieser Gleichung so nahe bei 0 liegt, sollte man trotzdem eine gewisse Vorsicht walten lassen.
Das Kaufinteresse europäischer Anleger an renditestarken Qualitätspapieren ist ungebrochen. Deshalb können wir auch weiterhin davon ausgehen, dass die Emittenten diesen Markt genauso wohlwollend betrachten wie die Anleger. Ob diese beiden Seiten der Gleichung aber auch noch in einigen Jahren mit derselben Zuneigung auf diese Papiere blicken werden, sei einmal dahingestellt.
Ein Thema, an dem für hoch rentierliche US-Energiekonzerne angesichts der aktuellen Ölpreise derzeit praktisch kein Weg vorbeiführt, ist das Vorhalten einer ausreichend hohen finanziellen Liquidität (in Form von Bargeld, Bankkrediten etc.), um ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können, da ihre Gewinne durch die gesunkenen Ölpreise unter Druck geraten. Zahlungsfähig zu bleiben, bis sich die Ölpreise irgendwann auch wieder erholen, wird deshalb für das Überleben von Energieunternehmen entscheidend sein. Das gilt auch für solche Firmen, die gar nicht besonders hoch verschuldet sind. Aufgrund der niedrigen Ölpreise werden wir es bei den meisten Unternehmen aus dem Energieumfeld in den nächsten Monaten also wahrscheinlich mit einer deutlich höheren finanziellen Hebelwirkung (und damit auch mit einem größeren finanziellen Risiko) zu tun bekommen.
Eine wichtige Liquiditätsquelle für diese Firmen sind wertpapiermäßig besicherte Bankkredite (und zwar insbesondere die so genannten „reserved based lines“, kurz „RBLs“ – ein Kreditrahmen, der von den nachgewiesenen Reserven eines Unternehmens – hauptsächlich Öl und Erdgas – abhängig ist). Diese RBLs sind oftmals vertraglich bindend und werden von der Bank, welche die jeweiligen RBLs zur Verfügung stellt, meist auf 6-Monatsbasis einer Neubewertung unterzogen. Und natürlich ist der Wert der Reserven der meisten Unternehmen aufgrund der niedrigeren Ölpreise gesunken. Deshalb werden die RBLs auch entsprechend angepasst, was die Verfügbarkeit von Krediten beeinträchtigt.
Die Neubewertungsphase bei RBLs wird bald einsetzen. Außerdem geht man davon aus, dass viele Explorations- und Förderfirmen ihren vertraglichen Kreditrahmen maximal ausschöpfen werden – und zwar selbst dann, falls es zu einem moderaten Anstieg der Ölpreise kommt. Wir vertreten jedoch die Auffassung, dass sich die meisten Banken während dieser Neubewertungsphase im Frühjahr hilfsbereit zeigen werden. Darüber hinaus dürften die meisten Firmen unserer Meinung nach vermutlich eine Lockerung der Vertragsbedingungen erreichen. Schließlich liegt es ja auch im Interesse der Banken, ihren Kunden möglichst viel Handlungsspielraum zu verschaffen, damit diese die aktuelle Niedrigpreisphase an den Rohstoffmärkten überstehen.
In der letzten Woche gab die US-Explorations- und -Förderfirma EXCO Resources bekannt, von ihrer Bankengruppe die Zusage für eine Lockerung der Vertragsbedingungen erhalten zu haben, sofern sie ihre RBL im Gegenzug um 20 Prozent reduziert. In diesem Zusammenhang verringerte die Bankengruppe von EXCO die Kreditbasis des Unternehmens von vormals 900 auf nunmehr 725 Mio. US-Dollar. Im Rahmen dieser geänderten Vereinbarung wurden außerdem die bis dahin geltenden Bedingungen für den Gesamtverschuldungsgrad (mit deren Hilfe die Bankengruppe den finanziellen Hebel praktisch begrenzen kann) bis zum IV. Quartal 2016 ausgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt wird dann ein neues, maximales Verhältnis von Verschuldungsgrad zu EBITDA (eine Kennzahl für die Verschuldung einer Firma im Vergleich zu ihren Gewinnen) in Höhe von 6,0 gelten, die bis zum I. Quartal 2018 dann schrittweise auf 4,5 reduziert werden wird.
Dabei handelten die Banken allerdings nicht ganz uneigennützig, denn darüber hinaus sieht diese modifizierte Vereinbarung auch einen vorrangig besicherten Leverage-Covenant von 2,5 (wodurch die Höhe des Hebels in jenen Segmenten der Kapitalstruktur eingeschränkt wird, in denen die entsprechenden Banken positioniert sind) sowie einen Zinsdeckungsgrad von 2,0 vor. Dadurch wird aber gewährleistet, dass die Banken auch weiterhin die Möglichkeit haben, die RBLs neu auszuhandeln, falls sich die Voraussetzungen unerwartet deutlich verschlechtern sollten.
Diese Nachricht ist durchaus ermutigend, denn sie stützt unsere Grundauffassung, dass die Banken ihren Kunden aus dem Explorations- und Fördersektor Wohlwollen entgegen bringen werden, zumal sich EXCO weder in einer Notlage befand noch (wenigstens im Vergleich) extrem überschuldet war – die Nettoverschuldung von EXCO entsprach im III. Quartal 2014 einem Verschuldungsgrad im Verhältnis zum EBITDA von etwa 3,5. Ganz grundsätzlich geht man jedoch davon aus, dass diese Verschuldungskennzahl angesichts des aktuellen Ölpreisniveaus im Jahr 2015 wesentlich höher ausfallen wird. Die 20-prozentige Reduzierung der RBL deckt sich ebenfalls mit unseren Erwartungen, dass den meisten Firmen eine moderate, aber noch in den Griff zu bekommende Senkung ihrer RBLs bevorsteht. Das bedeutet zwar nicht, dass das Unternehmen damit aus dem Schneider ist, denn schließlich ist das operative Umfeld nach wie vor extrem schwierig. Allerdings verschafft die Lockerung der Vertragsbedingungen der Firma eine gewisse Atempause, so dass man sich auf kurze Sicht weniger Sorgen machen muss, gegen Vertragsbedingungen zu verstoßen oder illiquide zu werden. Deshalb hat der Markt auf diese Nachricht auch positiv reagiert, denn die US-Dollar-Anleihe von EXCO mit einer Laufzeit bis 2018 legte 7 Punkte zu (nachdem sie vor dieser Meldung noch bei 68 notiert hatte).
Obwohl es sich dabei nicht zwangsläufig um einen Präzedenzfall handelt (andere Unternehmen, die unter größerem Druck standen, haben ihre Bedingungswerke ebenfalls erfolgreich neu verhandelt), ist diese Meldung von EXCO trotzdem viel versprechend. Sie zeigt nämlich, dass die Banken diesen Sektor tendenziell stützen werden, und in den nächsten Wochen und Monaten erwarten wir bei diversen anderen hoch rentierlichen US-Explorations- und -Förderfirmen eine ähnliche Entwicklung. Da eine Vielzahl von Hochzinsanleihen aus dem Energiesektor derzeit zwischen 60 und 90 gehandelt wird, bietet dieses Segment also durchaus interessante Anlagechancen – solange man in der Lage ist, jene Unternehmen zu identifizieren und herauszufiltern, die entweder liquide genug sind und/oder von ihren jeweiligen Banken wahrscheinlich gestützt werden.
In den jüngsten Blog-Beiträgen von Matt und James ging es um einige Probleme, mit denen die Märkte bei negativen Zinsen zu kämpfen haben. Und dabei handelt es sich offensichtlich nun nicht mehr um eine rein theoretische Diskussion, sondern um eine Entwicklung, die bereits konkrete Auswirkungen auf das Investmentumfeld hat. Weshalb akzeptieren Investoren bei Baranlagen Zinsen von unter 0 Prozent?
Um an dieser Stelle auf das Beispiel des Schweizer Franken zurückzukommen, ist es für einen Sparer rein wirtschaftlich nicht sinnvoll, einen Schweizer Franken-Geldschein auf ein negativ verzinstes Bankkonto einzuzahlen, weil dieses Geld wegen der negativen Zinsen bei Auszahlung dann weniger wert sein wird als bei der Einzahlung.
Allerdings bringt der Besitz von physischem Bargeld für den Sparer auch Risiken mit sich, weil er dann nicht in den Genuss jener Sicherheitsvorteile kommt, die ein Bankkonto bietet (so muss er z.B. selbst für einen elektronischen Tresor aufkommen). Die Nutzung des guten alten Schließfachs ist zwar nicht so praktisch wie ein Bankkonto, würde angesichts immer weiter ins Minus rutschender Zinsen aber zunehmend Sinn machen. Und diese Nachfrage nach physischen Vermögenswerten anstelle von elektronischem Geld beschränkt sich nicht nur auf Bankkonten. Da die Laufzeitenstruktur von Zinspapieren allmählich auf unter 0 Prozent sinkt, sollten theoretisch eigentlich auch Anleiheninvestoren ihre Papiere veräußern und sich das Geld stattdessen in den Safe legen. Aber wie effizient ist eine solche Vorgehensweise wirklich?
Das große Problem bei Papiergeld als Anlageinstrument besteht darin, dass das Höchstmaß an Liquidität, das diese Anlageform naturgemäß bietet, sie gleichzeitig aber auch für Feuer und Diebstahl anfällig macht. Aus der Sicht eines Privatanlegers ist die Nutzung eines feuerfesten und diebstahlsicheren Schließfachs bei einer Bank oder an einem anderen sicheren Ort außerhalb der eigenen vier Wände deshalb wohl der beste Ausgangspunkt für entsprechende Überlegungen. Die optimale Lösung ist allerdings immer auch von Skaleneffekten abhängig. Aber lassen sich diese wirklich so einfach realisieren?
Für einen Anleger macht es außerdem Sinn, seine Investments breit zu streuen. Aus diesem Grund sollte man sein Barvermögen auf eine Vielzahl unterschiedlicher Schließfächer an diversen, sehr sicheren Orten deponieren. Das wäre zwar schon einmal eine Verbesserung, ist aber leider auch nicht wirklich praktisch. Allerdings könnte es tatsächlich einen Weg geben, das obige Ziel vergleichsweise effizient und kostengünstig zu erreichen.
Angesichts negativer Zinsen gibt es wahrscheinlich genug Anleger, die gerne einfach nur Bargeld besitzen würden, das bei einem Filialnetz äußerst sicherer Schließfachanlagen einer Bank oder eines Kreditinstituts verwahrt wird. Dies würde neben einem hohen Maß an Sicherheit auch eine breite Streuung hinsichtlich der örtlichen Deponierung des Bargeldes gewährleisten. Damit der Anleger problemlos auf diese Mittel zugreifen kann, könnten Einlagenzertifikate ausgegeben werden, entweder in physischer oder – vorzugsweise – in elektronischer Form. Damit könnte der Anleger sein Geld ganz einfach transferieren, denn er müsste dann lediglich zur nächsten Verwahrstelle gehen, um dort weitere Gelder zu hinterlegen oder sich Bargeld auszahlen zu lassen. Oder aber er begibt sich zur nächsten Bank, sofern diese physische Einlagen akzeptiert bzw. diese in Form von Bargeld auszahlt. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um nichts anderes als ein Bankkonto, bei dem die Liquidität aber nicht in Form von Krediten vergeben wird, sondern bei dem eine Verwahrgebühr erhoben wird. Im Endeffekt könnte man theoretisch sogar Märkte für börsengehandelte Derivate schaffen, die an den Wert des bei einer Verwahrstelle deponierten Barvermögens gekoppelt sind. Damit könnten Privatanleger und große Institutionen dann liquide Mittel als Anlageinstrumente nutzen, ohne eine negative Rendite hinnehmen zu müssen. So könnte aus einem Umfeld negativer Zinsen eine ganz neue, effiziente Investmentindustrie entstehen. Dies dürfte das Rückschlagrisiko von Kurz- und Langfristzinsen unter 0 Prozent begrenzen.
Ein Nebeneffekt, der daraus resultieren würde, wäre der, dass alle diese Ersparnisse tatsächlich in Bargeld gehalten werden müssten. Dadurch würde auch die Nachfrage nach physischen Banknoten ansteigen. Sofern diese Gelder bei einer Depotbank verwahrt und nicht in Form von Krediten weiterverliehen werden, würde die für normale Transaktionen innerhalb einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehende Geldmenge allerdings sinken. Das hört sich nun allmählich wirklich deflationär an und widerspricht außerdem dem eigentlichen Ziel der Nullzinspolitik.
Solange es Bargeld in physischer Form gibt, sind deutlich negative Zinsen in einer Volkswirtschaft, in der es sich bei Staatsanleihen und liquiden Mittel um Verbindlichkeiten derselben Instanz handelt, kaum vorstellbar, zumal diese Anlagen damit auch wirklich fungibel sind. Schlimmstenfalls könnte eine auf negative Zinsen abzielende Geldpolitik eine Deflationsspirale auslösen. Vielleicht besteht die einzige Möglichkeit, mit Hilfe der Geldpolitik eine Inflation auszulösen, in realen und nicht in althergebrachten QE-Maßnahmen (lesen Sie dazu auch meinen letzten Blog-Beitrag).
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Ein Konferenzraum im 40. Stockwerk, im Hintergrund deckenhohe Fenster mit Spiegelverglasung und Blick auf das Zentrum von London. An dem auf Hochglanz polierten Mahagonitisch sitzt Hans Schmidt, seines Zeichens CFO eines großen, weltweit tätigen Konsumgüterkonzerns. Herein kommt Chad „Ace“ Jefferson III., der letzte in einer langen Reihe von Investmentbankern, die sich bereits mit diesem Unternehmen beschäftigt haben. Chad wird begleitet von einer Entourage von fünf tadellos gekleideten Nachwuchsbankern, deren einzige Aufgabe darin zu bestehen scheint, Chads Präsentationsunterlagen zu tragen.
„Hans! Alter Kumpel! Schlag ein!“ Chad schreit fast, als er mit erhobener Hand durch den Raum hüpft.
Hans schaut ihn verständnislos an und weigert sich, diese ordinäre Begrüßung zu erwidern. Stattdessen erhebt er sich und reicht ihm die Hand.
„Guten Tag, Mr. Jefferson“, murmelt er bereits leicht irritiert.
„Ich liebe euch Schweizer. Ihr seid immer so förmlich! Das ist ja der Hammer!“ gibt Chad freudestrahlend zurück und schüttelt ihm die Hand.
„Nun ja, ich habe diesem Treffen zugestimmt, weil Sie gesagt haben, dass Sie eine einmalige Gelegenheit für unser Unternehmen hätten. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, Chad, könnten wir uns dann darauf konzentrieren, ja?“
„Alles klaaar! Schauen wir uns die Sache einmal an.“ Chad wendet sich an ein Mitglied seines Gefolges. „Jean-Philippe“, blafft er ihn an. „Setz deinen Hintern in Bewegung und gib Herrn Schmidt eine Präsentation – hopp hopp!“
„Okay, ich werde direkt zur Sache kommen“, erklärt er und schiebt die Präsentation, an der Jean-Phillippe noch bis 4.00 Uhr morgens gearbeitet hat, beiseite. „Nachdem die EZB nun endlich in die Hufe gekommen ist und ein paar gute alte QE-Maßnahmen angekündigt hat, wird ein Großteil des Marktes für europäische Staatsanleihen mittlerweile zu negativen Renditen gehandelt. Das bedeutet, dass die Finanzierung deiner Firma für dich so billig ist wie nie, mein Freund. Die Sache ist die…“
Chad beugt sich zu Hans hinüber und versetzt ihm nahezu lautlos den Todesstoß.
„Mit unserer Hilfe, Hans, könnte dein Unternehmen eine Anleihe emittieren, die deine Firma nichts kosten würde.“ Chad springt auf und beginnt, auf- und abzulaufen.
„Ich rede von einem Null-Kupon, Hans! Kostenloses Geld! Keine Zinsen! Ist das nicht der Wahnsinn?! Denk mal darüber nach, eine Anleihenemission im Wert von 500 Mio. Euro bei null Finanzierungskosten. Wir können einen Großteil deiner Kredite refinanzieren und damit die Zinskosten auf null senken. Und das hätte unmittelbare Auswirkungen auf den Nettogewinn. Ich spreche hier von beträchtlichen Vorteilen für den GpA, Kumpel. Dein Vorstand wird dich dafür lieben, Hans. Das ist eine todsichere Sache! BÄMS!“ Um seinen Standpunkt noch einmal deutlich zu machen, versenkt Chad die Präsentation zielsicher im nächsten Papierkorb, woraufhin Jean-Phillippe zusammenzuckt.
Hans wendet sich Chad zu und sagt: „Okay, Sie haben meine Aufmerksamkeit. Das klingt interessant. Aber warum sollte ein Investor Anleihen meines Unternehmens ohne einen positiven Kupon kaufen? Wird dadurch nicht das Prinzip der Unternehmensanleihe komplett ad absurdum geführt?“
„Eine wirklich sehr gute Frage, Hans! Aber hier geht es darum, sich für das kleinere der beiden Übel zu entscheiden. Denn wenn man trotz eines Null-Kupons in die Unternehmensanleihe einer renommierten Firma wie deiner investiert, könnte man damit trotzdem durchaus besser fahren als mit einem Engagement in einer Staatsanleihe, bei der eine negative Laufzeitrendite garantiert wird. Schließlich hat man letztlich immer noch eine positive Zinsdifferenz. Und wenn man davon ausgeht, dass wir es in der Eurozone mit einer Deflation zu tun bekommen werden, dann bedeutet eine Nullrendite nominal betrachtet trotzdem einen positiven realen Ertrag – der Anleger ist auf jeden Fall besser dran. Ich weiß, es ist verrückt, aber es stimmt!“
Chad beendet seine Ausführungen und nimmt wieder Platz. Mittlerweile grinst er noch breiter als vorher und unterdrückt den Drang, die Faust zur Siegerpose in die Luft zu recken.
Ende
Ich möchte zwar umgehend klarstellen, dass es sich bei der obigen Szene um eine frei erfundene (und literarisch dürftig beschriebene) Begebenheit handelt, doch möglicherweise steuern wir zusehends auf ein Umfeld zu, in dem solche Gespräche durchaus denkbar wären.
In seiner täglichen Mitteilung an die Anleger vom 4. Februar führte Jim Reid von der Deutschen Bank aus, dass die Euro-Anleihe von Nestlé mit einer Laufzeit bis 2016 derzeit eine negative Rendite von -0,002 Prozent aufweist.
Damit sendet der Markt hinsichtlich des Bewertungsniveaus bonitätsstarker Emittenten von Unternehmensanleihen also im Grunde genommen ein beispielloses Signal aus. Die Botschaft lautet: „Wenn wir euch Geld leihen, verlangen wir dafür keine positiven nominalen Renditen mehr.“
Die unmittelbare Folge dieser Entwicklung ist ein weiterer Rückgang der potenziellen Finanzierungskosten für kurzfristige Kredite, und zwar insbesondere für Unternehmen mit Investmentstatus. Dies wiederum könnte zu noch mehr Effizienz bei den Finanzierungskosten führen. Darüber hinaus könnten demnächst erstmals Unternehmensanleihen mit einer Nullrendite emittiert werden – wirklich eine schöne neue Welt.