Das Negativzinsumfeld und seine unbeabsichtigten Folgen – Teil II. Ein Update.

Anfang April hatte ich über die unbeabsichtigten Folgen der von den Zentralbanken betriebenen Negativzinspolitik gebloggt. Dabei hatte ich auch versprochen, meine Liste der Beobachtungen zu aktualisieren, wenn sich weitere interessante Folgewirkungen ergeben, und hatte zu diesem Zweck die Leser um entsprechende Beiträge gebeten. An dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die dieser Bitte nachgekommen sind! Nachstehend nun einige weitere interessante Entwicklungen nach Aufhebung der Nullzins-Untergrenze sowie Links zu einigen theoretischen Überlegungen zu negativen Zinsen.

  1. Im letzten Blogbeitrag ging es u. a. um die Befürchtung, dass die Banken möglicherweise außerstande sind, Negativzinsen auf die Sparer abzuwälzen (aus Angst, dass diese ihr Geld dann abziehen), und daher auch Zinssenkungen nicht an Kreditnehmer weitergeben können, sodass das Kreditgeschäft im Endeffekt nicht angekurbelt wird. Diese Einschätzung gilt generell noch, es hat sich hier aber doch einiges bewegt. „Die Zeit von kostenlosen Girokonten ist vorbei“, stellte der Präsident des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Georg Fahrenschon fest. Außerdem kündigte er „Strafzinsen“ für gewerbliche Kunden an. Privatkunden bleiben davon jedoch (vorerst) verschont. Die deutschen Sparkassen finanzieren sich zu 74 Prozent aus Einlagen von Nicht-MFIs. (Quelle: FAZ) In Spanien berichtete die Zeitung „Cinco Dias“, dass die Banken bei Einlagen von Großunternehmen inzwischen 0,3 Prozent Negativzinsen berechnen.
  2. Laut UBS-CEO Sergio Ermotti stellt sich für sein Institut und die ganze Branche angesichts des Negativzinsumfelds die Frage: „Wollen wir Kundengelder überhaupt noch annehmen, wenn das die Bank Geld kostet – und wir liquide Mittel mit unangemessen viel Kapital unterlegen müssen?“ Laut Ermotti hat die Bank zudem infolge der Kosten negativer Einlagenzinsen die Kreditzinsen teilweise bereits erhöht. (Quelle: WBP online)
  3. In der Eurozone haben die Zentralbanken mehrere Millionen Euro aus Einlagen verdient, auf die sie früher Zinsen gezahlt hätten. So berichtet die „Financial Times“, dass beispielsweise die irische Zentralbank auf Einlagen vom Staat und von Kreditinstituten 28,5 Mio. Euro eingenommen hat. Bei den größeren europäischen Zentralbanken dürften die Beträge weitaus höher sein. (Quelle: FT über Torben Hendricks)
  4. Im stets interessanten Blog der Bank of England, The Bank Underground, wurden die Auswirkungen von Negativzinsen auf den Derivatemarkt Der Branchenstandard für die Preisgestaltung von Zinsoptionen ist das SABR-Modell. Dieses Modell geht davon aus, dass die Zinsen grundsätzlich nicht unter Null sinken. Fischer Black, der zur Entwicklung von Bewertungskonzepten für Finanzoptionen beigetragen hat, sagte einst, dass die nominalen Kurzfristzinsen nicht negativ sein können. Die am Modell vorgenommenen Änderungen, die dadurch erforderlich waren, dass die Zinsen eben doch negativ wurden, bedeuten eine erhöhte Unsicherheit hinsichtlich der Ergebnisse und somit höhere Absicherungskosten. Die Notwendigkeit, diese und andere Risiken, die sich aus dem historischen Verkauf strukturierter Schuldverschreibungen ergeben, abzusichern, hat nun die Nachfrage nach physikalischen Anleihen angekurbelt und dadurch die Renditen noch weiter nach unten gedrückt und zugleich zu mehr Volatilität geführt.
  5. Das japanische Finanzministerium druckt mehr der werthöchsten 10.000-Yen-Noten, um der Nachfrage gerecht zu werden. Die Produktion wird von den bisher üblichen 1,05 Milliarden Stück pro Jahr auf 1,23 Milliarden gesteigert. Die zu Hause aufbewahrte Bargeldmenge soll im letzten Jahr um 14 Prozent gestiegen sein. Dies ist möglicherweise zum Teil auf die Negativzinsen zurückzuführen, kann aber auch Folge der Einführung eines neuen Identifikationsnummernkonzepts („My Number“) sein, dass Steuer- und Sozialversicherungsnummer miteinander verbindet. (Quelle: Japan Times)
  6. Hier ein Link zu den Unterlagen einer Konferenz des Centre for Economic Policy Research, die 2015 stattfand. Bei der Konferenz zum Thema „Removing the Zero Lower Bound on Interest Rates“ ging es nicht nur um wirtschaftliche Debatten, sondern auch um Diskussionen über die Auswirkungen auf Rechts- und Zahlungssysteme.
  7. Dieser Beitrag des Blogs auf Liberty Street Economics, dem Pendant der Fed zum Blog „The Bank Underground“, aus dem Jahr 2012 ist ebenfalls lesenswert. Neben sonstigen „Störungen“, die ein Negativzinsumfeld mit sich bringen kann, beschreibt der Autor, dass Großunternehmen, die nicht in der Lage sind, Bargeld in ausreichender Menge einzulagern, um es auf diese Weise dem Bankensystem zu entziehen, finanzielle Innovationen entwickeln könnten. Als Beispiel wird eine Zweckgesellschaft genannt, die einen Tresorraum voller Bargeld hat und Schecks ausstellt, die einen Anspruch auf dieses Bargeld begründen. Wenn die Negativzinsen ein bestimmtes Niveau erreichen, kann die Zweckgesellschaft eine Gebühr erheben, die es für Unternehmen attraktiv macht, einen durch Bargeld in einer sicheren Einrichtung besicherten handlichen Scheck zu besitzen, statt ihr Geld im traditionellen Bankensystem zu halten. Zudem könnte das Einlösen von Schecks laut Blogbeitrag aus der Mode kommen. Selbst wenn man dann jemanden frühzeitig bezahlen will, könnte es passieren, dass man sein Bargeld nicht los wird. In einem abschließenden großartigen Zitat der Fed heißt es: „Wenn die Zinsen in den Negativbereich sinken, könnten wir eine bahnbrechende Explosion von sozial unproduktiven – wenngleich für Einzelne vorteilhaften – Finanzinnovationen erleben.“

Sollten Sie weitere ungewöhnliche Wirtschafts- oder Marktentwicklungen infolge der Negativzinsen feststellen oder Links zu interessanten wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema entdecken, dann posten Sie diese bitte nachstehend als Kommentar.

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Jim Leaviss

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