Die Finanzwelt ist eine Geisterbahn. Schulden, Deflation und ein verschlechtertes Wachstum haben die Investoren im letzten Jahr heimgesucht und die Anleihenrenditen in einer Reihe an Ländern in den Negativbereich gedrückt. Am schreckerregendsten ist vielleicht, dass die Finanzkrise nun schon acht Jahre hinter uns liegt und die Zentralbanken der Industrienationen weiterhin an ihrer ultralockeren Geldpolitik festhalten. Die Märkte für Staatsanleihen ähneln im Moment einer Freakshow in einer erweiterten Phase des Konjunkturzyklus, und die nächste Rezession könnte nicht lange auf sich warten lassen. Die Horrorfilme können dieses Halloween im Schrank bleiben, wir haben unsererseits ein paar Schauergeschichten vorbereitet.
- Der Besitz von Staatsanleihen ist furchteinflößend.
In 2016 gehörten Staatsanleihen von Industrieländern zu den Anlageklassen mit der besten Performance und brachten viele Vorhersagen durcheinander. Im Allgemeinen war es die richtige Entscheidung, Vermögenswerte mit einer langen Duration zu halten. Tatsächlich galt: je länger desto besser. Jahr für Jahr sagen die Investoren voraus, dass die Anleihenrenditen steigen werden, und Jahr für Jahr fallen sie auf einen neuen Tiefstand. Natürlich gibt es einige sehr gute Gründe, warum man eine Fortsetzung dieses Trends erwarten kann.
Die Anleihenmärkte gehen allerdings im Moment davon aus, dass eine Normalisierung der Geldpolitik in weiter Ferne liegt. Die niedrige Inflation bedeutet, dass die Zentralbanken auch weiterhin ihre jeweilige stark verschuldete und kränkelnde Volkswirtschaft unterstützen werden. In der Folge handeln traditionelle Staatsanleihen mit einem Volumen von fast 10 Bio. USD mit negativer Rendite. Das Ergebnis ist, dass viele Unternehmen – inkl. Banken – in diesem Niedrigzinsumfeld (und den teilweise negativen Renditen) Mühe haben. Diese Unternehmen sehen ihre existierenden Geschäftsmodelle angesichts des niedrigen Wachstums und den verschärften Bestimmungen infrage gestellt. Der Druck in der Finanzwelt nimmt zu und es ist unklar, wie diese Probleme bewältigt werden können.
- Zentralbanken sind jedoch furchtlos. Ihnen gehört ein großer Teil des Anleihenmarktes.
Die umfangreichen Käufe von Staatsanleihen durch die Zentralbanken im Rahmen ihrer quantitativen Stimuli bedeutet, dass Laufzeitprämien (der zusätzliche Betrag, den Investoren bei der Kreditvergabe für längere Laufzeiten verlangen) weiter in den negativen Bereich gedrückt wurden. Es war einmal undenkbar, dass Investoren für die Ehre bezahlen würden, einer Regierung Geld zu leihen. Heutzutage ist dieses Phänomen normal und zwar nicht nur in Bezug auf Staatsanleihen, sondern auch an den Märkten für Unternehmensanleihen.
Es nehmen allerdings nicht nur die Zentralbanken an der Anleihenkaufparty teil. Die Nachfrage nach Titeln mit langer Duration steigt stetig seitens großer Institutionen wie Pensionskassen und Versicherungsunternehmen. Die Kombination aus Zentralbanken, Pensionskassen und Versicherungen hat Abverkäufe an den Anleihenmärkte beschränkt und die Renditen entlang der gesamten Kurve reduziert, und eine alternde Bevölkerung bedeutet, dass sogenannte „sichere Häfen“ weiter nachgefragt werden. Dies zwingt dann die Investoren zur Anlage in Vermögenswerte mit höherem Risiko, wollen sie eine positive Realrendite erwirtschaften.
- Werfen Sie einen Blick nach unten, wenn Sie wissen wollen, was bei einer steigenden Inflation oder im Falle von Zinserhöhungen passiert.
Trotz des gegenwärtig negativen Renditeumfelds wird die Reaktion der Zentralbanken auf den nächsten Inflationsschock enorme Auswirkungen für Anleiheninvestoren haben. Die Duration globaler Anleihenportfolios liegt nahe 7 Jahre und Investoren könnten sich mit sehr hohen Verlusten konfrontiert sehen, sollten die Zinsen erheblich nach oben gehen. Hier stellen sich einige wichtige Fragen. Werden die Zentralbanken die Zinsen in einem Umfeld der Stagflation erhöhen? Wie werden die Politiker reagieren, wenn die Verluste auf dem Papier für die QE-Portfolios der Zentralbanken an die Medien berichtet werden? Könnte die Unabhängigkeit von Zentralbanken unter Druck geraten? Kann es sein, dass die finanzielle Instabilität zunimmt, wenn Anleihen mit langen Laufzeiten – schließlich halten viele Banken und Versicherungen genau diese Papiere – hohe Kapitalverluste einfahren?
Im Augenblick beschäftigt den Markt mehr die säkulare Stagnation als eine Sorge um die Inflationsentwicklung. Dessen ungeachtet könnte uns ein Inflationsschock schneller heimsuchen als viele annehmen, schließlich hat nicht nur der Ölpreis seit Februar um fast 100% zugelegt, mehr und mehr Regierungen weltweit sympathisieren mit Handelsprotektionismus.
- Mit Blick auf die Schwellenmärkte könnten politische Risiken zu Zwangsverkäufen führen.
Zahlreiche Staatsanleihen aus Schwellenländern wurden im Verlauf des letzten Jahres abgewertet, wobei die Ratingagenturen immer wieder politische Unsicherheit als Hauptfaktor angegeben haben. Die Effekte dieser Abwertungen waren unmittelbar zu spüren, und die Volatilität an den Anleihenmärkten nahm zu.
Umfangreiche Zuflüsse in die Anleihenmärkte der Schwellenländer machten einige Staaten anfällig für politische Risiken von außerhalb. Mexiko ist ein gutes Beispiel, bedenkt man die Unsicherheit aufgrund der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl. Viele Schwellenmärkte sind außerdem anfällig, sollte der US-Dollar an Wert zulegen. Dies ist durchaus eine Möglichkeit, da der US-Offenmarktausschuss wesentlich wahrscheinlicher die Zinsen erhöhen wird als andere Zentralbanken. Ein zusätzliches Risiko ist, dass ein großer Schwellenmarkt sein Investment-Grade-Rating reduziert bekommt. Die Folge wären Zwangsverkäufe von Schuldpapieren in harter Währung durch ausländische Investoren.
- China sieht sich mit einem enormen Schuldenüberhang konfrontiert. Angst? kein Wunder.
Die vier gefährlichsten Worte in der Finanzwelt lauten: „Diesmal ist es anders.“ Im Falle von Kreditbooms ist das Ende nämlich meistens weniger gut.
Eine Methode zur Ermittlung von exzessivem Kreditwachstum ist der Kreditüberhang eines Landes. Dieser misst den Unterschied zwischen der Kredite-BIP-Ratio und dem langfristigen Trend. Die Methode hat sich als ein verlässlicher Indikator herausgestellt. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich stellt denn auch fest: „In der Vergangenheit folgten auf zwei Drittel aller Messungen über diesem Schwellenwert (10) in den kommenden drei Jahren ernste Spannungen im Bankensektor.“ Die „Lücke“ in Chinas Kredite-BIP-Ratio beläuft sich jetzt auf 30,1%. Es ist der höchste Wert seit 1995 und deutet an, dass das Bankensystem bereits die ersten Spannungen zu spüren bekommt.
Im chinesischen Finanzsystem blinken zahlreiche gelbe und rote Warnsignale, da enorme Summen an Renminbi in kapitalintensive Immobilienprojekte und die Finanzierung von neuen Produktionskapazitäten in den industriellen Sektoren geflossen sind. Diese giftige Kombination aus hohen und steigenden Schulden in einer abschwächenden Wirtschaft tendiert dazu, zu einem wirtschaftlichen Niedergang zu führen. Die Autoritäten sind weiterhin auf der Jagd nach wirtschaftlichem Wachstum, wodurch unprofitablen Projekten und Überkapazitäten Kapital zugeleitet wird. Die Preise werden letztendlich zu fallen beginnen und den Kreditnehmern stehen große Verluste bevor. Hinzu kommt, dass ein großer Teil des Kapitals für Investmentprojekte über das Schattenbanksystem verfügbar gemacht wurde und dieses empfindlicher reagiert, wenn der Kapitalfluss plötzlich zum Stillstand kommt und Einlagen abgezogen werden.
Happy Halloween.
Im letzten Jahr hatten wir einen Blog zu unseren Erkenntnissen von den Treffen des IWF und der Weltbank geschrieben, und so wollen wir es auch in diesem Jahr halten. Claudia Calich und ich haben uns bei den Events in Washington die Aufgaben geteilt und an so vielen Diskussionen teilgenommen wie möglich. Wir werden diese Arbeitsteilung hier nun beibehalten. Claudia wird sich mit der Schwellenmarktthematik auseinandersetzen, während ich mich auf die Industriestaaten und China konzentriere.
1) China: Jetzt auf dem Rücksitz, im letzten Jahr noch am Steuer
Im Gegensatz zum letzten Jahr haben die Diskussionen um China überraschend wenig Staub aufgewirbelt. Nach den großen Marktbewegungen und den Volatilitätsphasen im August 2015 und im Frühjahr dieses Jahres – ausgelöst durch Chinas FX-Adjustierung, steigende Ausfallquoten bei Unternehmensanleihen und beschleunigte Kapitalabflüsse – scheinen die Sorgen um eine „harte Landung“ nachgelassen zu haben. Stattdessen verlagerte sich der Fokus auf die verbesserte Zentralbankkommunikation und die in diesem Jahr relativ stabile Wirtschaft. Die Stimmung war auch in Hinsicht auf Chinas Umstellung auf eine Dienstleistungsgesellschaft positiv. Sie hat an Fahrt zugelegt, da die Kreditexpansion und der wachsende Konsumanteil am BIP eine gute Basis für Wachstum bietet und eine mögliche Abkühlung bei den Investitionen ausgleichen kann. Diese Stimmungslage fällt mit dem Aufwärtstrend des Li Keqiang Index (oft ein „besserer“ Maßstab für das chinesische Wirtschaftswachstum) in diesem Jahr zusammen.
Das Land hat seine Marotten, aber andererseits steht China auch eine breite Palette an geldpolitischen Instrumenten zur Verfügung, sodass allgemein eine Abfederung von Makro-Schocks zu erwarten ist. Die Politik wird sich daher auf die Stabilisierung des Wachstums konzentrieren, um das Momentum bis zum Parteikongress im Oktober nächsten Jahres – auf dem eine neue Parteiführung bestellt wird – zu erhalten. Es wird gehofft, dass im Anschluss an eine Stabilisierung strukturelle Reformen (z.B. in Bezug auf Unternehmen im Staatsbesitz und Banken) im Mittelpunkt der Bemühungen stehen werden.
2) Japan: Die anhaltende Ausweitung der quantitativen Stimuli
Die Diskussionen im Zusammenhang mit Japan konzentrierten sich auf die Wirksamkeit der neuen Politik – „QQE & Yield Curve Control“ (qualitative und quantitative Lockerungen plus Kontrolle der Renditekurve). Dabei verlagert die Bank of Japan den Schwerpunkt ihrer Politik weg von monetären Maßnahmen und strebt danach, die Renditen auf 10-jährige Papiere um die aktuellen 0% zu halten sowie das Inflationsziel von 2% zu überschreiten. Mein instinktives Gefühl ist, dass die Regeln weiterhin ein gehöriges Maß flexibler sein werden als die vergleichsweise festgeschriebenen Ziele in den westlichen Industriestaaten. Ich gehe davon aus, dass Japan bei der Verfolgung seiner Ziele kontinuierlich und kreativ an seiner Geldpolitik arbeiten wird. Bisher hatten wir schließlich schon quantitative Lockerungen, quantitative und qualitative Stimuli, qualitative und quantitative Lockerungen plus Kontrolle der Renditekurve und nun eine Kombination aus all diesen Maßnahmen. Meine Haupterkenntnis von den IWF- und Weltbank-Treffen ist, dass alles verhandelbar ist. Die Bank of Japan wird keine japanischen Staatsanleihen (JGB) verkaufen, will sie die Renditen auf 10-jährige Papiere nach oben treiben will und stattdessen im Rahmen ihrer qualitativen und quantitativen Maßnahmen weniger Titel kaufen. Dies deutet darauf, dass das gegenwärtige Ziel von 80 Bio. Yen an jährlichen JGBs im Laufe der Zeit formell geändert werden muss. Die kurzfristigen Zinsen könnten niedriger, in negatives Territorium fallen, sollten die Inflationserwartungen sinken. Es sieht außerdem so aus, als sei die Rendite auf 10-jährige Papiere ebenfalls eine bewegliche Zielscheibe. Das langfristige Ziel ist eindeutig, die Schaffung einer steileren Renditekurve. Interessant ist nun, ob die Bank of Japan erfolgreich sein wird, insbesondere angesichts der Schwierigkeiten im Westen, eine jährliche Inflation von 2% zu generieren oder sogar zu übertreffen.
3) Großbritannien: Unsicherheit und Politik dominieren
Hätte ich jedes Mal einen Dollar bekommen, wenn ich die Schlagwörter „Brexit“ oder „Trump“ gehört habe, dann hätte ich ein weitaus größeres Andenken vom IWF mitgebracht als meine Pfefferminz mit IWF-Logo. Es ist jedoch verständlich, dass diese Themen die Investoren am meisten beschäftigten, insbesondere da das Treffen im Monat vor der US-Präsidentschaftswahl stattfand und das Pfund Sterling 2,5% an Wert verloren hat (dank Theresa Mays Rede auf dem Parteitag der Konservativen, mit der sie die Angst vor einem „harten“ Brexit anfeuerte, was in der Formulierung von HSBC die Wahl ist, zwischen einem „kontinentalen und einem vollen englischen Frühstück(brexit)“. Ich schließe mich der Besorgnis an, dass es unter Umständen für Großbritannien schwierig sein wird, seine Vorstellungen zu der zukünftigen Beziehung mit der EU durchzusetzen. Die Diskussion dieses Themas in Washington hat mir auf jeden Fall eine Gesamtsicht gegeben, die in Großbritannien nur schwer zu erreichen ist. Drücken wir es einmal einfach aus: Großbritannien wird mit einem Block aus 27 Einzelstaaten verhandeln. Sollten der Insel irgendwelche Konzessionen gemacht werden, so steht denen keine andere Hürde gegenüber als die einstimmige Zustimmung der anderen 27 Staaten. Andere Diskussionen drehten sich um eine potenzielle Stagflationsphase in Großbritannien: Die britische Währung hat gegenüber dem US-Dollar seit dem Referendum 18% an Wert verloren, und die Unsicherheit, dass Brexit einen negativen Einfluss auf Investitionen und Wachstum hat, sollte nicht unterschätzt werden.
4) Europa: Wird sich weiter durchwurschteln, doch reicht das nicht
Der IWF hat kürzlich seine 2016-Wachstumsprognose für Europa von 1,6% auf 1,7% und auf 1,5% für das nächste Jahr korrigiert, wobei die Abkühlung in 2017 auf das Konto des Brexit geht. Obwohl es Gerüchte gibt, denen zufolge die EZB wieder ins Tapering einsteigen wird, war die allgemeine Sichtweise, dass die Geldpolitik ausreichend hilfreich war und aufgrund der hartnäckig niedrigen Inflation – die Prognosen gehen auch für das nächste Jahr von einer Zielverfehlung aus und erwarten eine Inflation von 1,1% – auch so bleiben wird. Tapering scheint von der Agenda verschwunden.
Mit Blick auf die Fiskalpolitik besteht die Herausforderung darin, dass fiskalpolitisch nicht mehr viel machbar ist. Selbst wenn Deutschland gewillt sein sollte, sich mehr zu engagieren, wird das auf den Rest Europas nur wenig Einfluss haben. Dies betrifft vor allem die Peripherie, da die Handelsbeziehungen schwach sind. Stattdessen sollte sich die Aufmerksamkeit auf strukturelle Reformen richten. Hier einige der Hauptsorgen seit 2021/12: eine hohe Verschuldung, notleidende Kredite, Flüchtlinge und Immigration. Zudem könnte nun der Zusammenhalt Europas ins Rampenlicht rücken. Dies liegt nicht nur am Brexit-Votum, sondern auch an den bevorstehenden politischen Ereignissen, namentlich das italienische Referendum über die Senatssanierung am 4. Dezember und die Wahlen 2017 in Deutschland und Frankreich.
Die IWF- und Weltbank-Treffen waren eine fantastische Gelegenheit, die Einschätzungen der relevantesten Themen von Zentralbänkern, Ministern und Ökonomen zu hören. Eine der Anekdoten war es, die kulinarischen Vorzüge einiger der international einflussreichsten Entscheidungsträger kennenzulernen: Mark Carney mag zum Beispiel am liebsten Pizza, Wolfgang Schäuble bevorzugt die französische Cuisine und Yi Gang mag alles. Am besten gefiel mir jedoch Christine Lagardes Antwort auf die Frage, wo sie am liebsten zu Abend essen geht: „Ich lade SIE zum Essen ein und ich koche.“ Die Haupterkenntnis: IMF- und Weltbanktreffen liefern immer jede Menge geistige Nahrung.
Vor Kurzem beschäftigte sich Ben in einem Blog-Artikel mit den relativen bewertungsbedingten Investmentchancen am US-Markt für Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Status (IG). Betrachtet man aktuell die Steilheit der Credit-Spread-Kurven im Universum von USD-IG-Anleihen, dann erscheint das langlaufende Segment dieses Marktes zunehmend attraktiv.
Die unten abgebildete Grafik zeigt die Credit-Spread-Kurve (Stand 30. September) von in US-Dollar denominierten nicht-Finanzanleihen mit IG-Rating gegenüber den mittleren 50% der Spread-Beobachtungen der einzelnen Rentenindizes über den gesamten Zeitraum seit Ende des Jahres 1996. Für Laufzeiten von weniger als zehn Jahren befinden sich die Credit Spreads aktuell unterhalb ihrer historischen Medianwerte. Dem gegenüber erreicht das Spread-Niveau bei langlaufenden Unternehmensanleihen mit 201 Basispunkten (Bp) beinahe das obere Ende der Spanne, was die momentane Steilheit der Kurve unterstreicht. Schaut man sich die Spread-Historie der letzten 20 Jahre an, dann waren langlaufende Spreads in 71% aller Fälle enger als heute!
Die folgende Grafik macht deutlich, dass attraktiv bewertete langlaufende US-Dollar-Unternehmensanleihen breit gefächert in verschiedenen Industriesektoren vorkommen. Mit Ausnahme von Immobilien und Dienstleistungen befinden sich alle Sektoren im Universum für IG-Unternehmensanleihen des Nicht-Finanzsektors mit Laufzeiten über zehn Jahren im dritten Quartil und somit oberhalb ihrer historischen Medianwerte. Die Spreads zweier Sektoren – Energie und Gesundheitswesen – gehen sogar über das dritte Quartil hinaus. Angesichts der eher schleppenden Erholung beim Ölpreis und der politischen Risiken mit Blick auf die Preisgestaltung von Medikamenten ist dies keine allzu große Überraschung.
Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass Credit Spreads von langlaufenden amerikanischen IG-Unternehmensanleihen gegenwärtig einen anständigen Carry bieten, vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass große Teile des Staatsanleihenuniversums historisch niedrige oder gänzlich negative Renditen aufweisen. Was könnte bei derart attraktiven Bewertungen schief gehen?
Nun, die hohe Spread-Duration von langlaufenden Unternehmensanleihen macht sie beispielsweise besonders anfällig für Spread-Ausweitungen. Der Carry, der durch den Credit Spread zustande kommt, kann für Anleger zwar als „Polster“ fungieren, er wird Kapitalverluste aber auch nur bis zu einem gewissen Grad absorbieren. Im Falle des Segments für US-Unternehmensanleihen des Nicht-Finanzsektors mit Laufzeiten über 10 Jahren und mit einem Spread-Niveau von 201 Bp und einer Spread-Duration von 13,7 Jahren können sich Spreads unter sonst gleichen Umständen um maximal 15 Bp pro Jahr ausweiten, bevor der durch den Credit Spread generierte Carry durch Kapitalverluste aufgehoben wird. In einer Phase, in der die Risikoausrichtung deutlich sinkt, wie es im ersten Quartal dieses Jahres der Fall war, hätten stark steigende Credit Spreads, zumindest vorübergehend, enorme Auswirkungen auf die Bewertungen von langlaufenden Unternehmensanleihen.
Wie bei fast allen Risikofaktoren handelt es sich auch bei der Spread-Duration um ein zweischneidiges Schwert. Wenn sich die Spreads weiter einengen, können sich Anleger zusätzlich zum Credit-Spread-Carry über Kapitalzuwächse freuen. Auf der Grundlage des derzeitigen Bewertungsniveaus bei langlaufenden USD-Unternehmensanleihen erkennen wir mittel- bis langfristig Potenzial für eine weitere Spreadverengung. In Anbetracht der derzeitigen Steilheit der Spread-Kurve ist es wahrscheinlich, dass sich langlaufende Unternehmensanleihen relativ betrachtet besser entwickeln werden als kurzlaufende Unternehmensanleihen.
Das neu eingeführte Anleihenkaufprogramm (Corporate Bond Purchase Scheme, CBPS) der Bank of England könnte sich indes als unterstützender technischer Faktor für langlaufende USD-Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Status erweisen. Mit einer gewichteten durchschnittlichen Laufzeit von 13,5 Jahren ist das Universum geeigneter Anleihen (Stand 7. Oktober) ganz klar langlaufend ausgerichtet. Etwa 55% der für das CBPS geeigneten Anleihen haben eine Laufzeit von mehr als zehn Jahren und circa 25% sogar von über 20 Jahren. Sterling-Anleger auf der Suche nach diesen Fälligkeitseigenschaften könnten zunehmend vom CBPS abgedrängt werden. Da das Universum für in Euro denominierte Investment-Grade-Anleihen deutlich kürzere Laufzeiten aufweist, bliebe diesen Anlegern nicht viel mehr übrig, als sich dem US-Dollar-Markt zuzuwenden und somit noch mehr Abwärtsdruck auf die Credit Spreads am langen Ende auszuüben.
In letzter Zeit hat mich ein Déjà-vu-Gefühl überwältigt. Die Diskussionen am Markt drehen sich im Augenblick darum, dass die Zinsen in diesem Quartal wohl nicht mehr anziehen (USA), niemals mehr nach oben gehen (Europa) oder noch weiter gekürzt werden (Japan, GB). Die quantitativen Lockerungsmaßnahmen gehen im Eiltempo voran und könnten sogar noch ausgeweitet werden, sei das in Bezug auf ihre Dauer oder die Aufnahme neuer Assettypen. Das Wirtschaftswachstum scheint zu einem Stillstand gekommen zu sein, die Unternehmensrentabilität zeigt spätzyklische Rückgänge und die Inflation ist mehr oder weniger nicht existent. Ich könnte die Liste noch eine Weile weiterführen. Egal wo man hinschaut, Pessimismus über die weltweite Wirtschaftslage ist überall, die Sorge, dass die Geldpolitik – vielleicht schon vor langer Zeit – an ihre Grenzen gestoßen ist. Neue Argumente für den Kauf von Staatsanleihen und risikofreien Renditen machen die Runde.
Ich habe mich kürzlich mit meiner Kollegin Anjulie über Bewertungen und die Aussichten für Staatsanleihen unterhalten und während unseres Gesprächs realisiert, dass ich zwischen unserer Gegenwart und den ersten Monaten im Jahr 2013 nervenaufreibende Ähnlichkeiten erkenne. Damals drehten sich die Diskussionen um die „Unendlichkeit“ der qualitativen Konjunkturmaßnahmen, die Japanisierung der USA, der Aussichtslosigkeit von Zinserhöhungen – bin ich der Einzige, der hier Parallelen sieht? Anjulies Ansicht war, korrekter als meine, dass trotz der historisch niedrigen Renditen und angesichts der außerordentlichen Zentralbankmaßnahmen ein weiterer Rückgang der Renditen auf Staatsanleihen durchaus möglich ist. Ich wollte mich dem nicht anschließen und schlug vor, dass wir erneut einen Blick auf das „Taper Tantrum“ und das „Bund Tantrum“ von 2013 bzw. 2015 werfen sollten. Vielleicht könnten wir aus diesen Episoden etwas lernen, das sich auf die gegenwärtige Situation anwenden lässt? Anjulie stellte die folgenden Schaubilder zusammen und es lohnt sich, ihre Ergebnisse zu diskutieren.
Die nebensächlichen Bemerkungen von Ben Bernanke in einigen nachträglichen Gedanken im Anschluss an eine Rede im Mai 2013 (er sprach davon, die Geschwindigkeit beim Ankauf von Staatsanleihen und MBS zu drosseln) weckte die Anleihenmärkte nicht nur auf, sie hatten einen Wutanfall. Wie der Chart zeigt, stiegen 10-jährige US-amerikanische Staatsanleihen alleine im Mai um 50 Bp und in dem Zeitraum von Mai bis Dezember 2013 um 140 Bp. Bundesanleihen und britische Staatsanleihen wurden mit den US-Staatsanleihen nach unten gezogen, obwohl das Thema „Tapering“ weder in Kontinentaleuropa noch Großbritannien auf der Tagesordnung stand. Indexgebundene Anleihen litten ebenfalls in markant negativer Form. Unternehmensanleihen boten demgegenüber jedoch ein gemischtes Bild. Die Credit Spreads weiteten sich im Mai zunächst, doch sahen wir dann bis zum Jahresende 2013 eine krasse Umkehr. Eine Ausnahme waren lediglich Schwellenländer, die auf das Wort Tapering unverstellt negativ reagierten.
Ein einziges Wort, Tapering, reichte aus, massive Bewegungen bei den Renditen auf Staatsanleihen auszulösen. Ausschlaggebend war aber nicht eine veränderte Geldpolitik: Zinsen blieben unverändert und das Ausmaß der QE-Anleihenkäufe war ebenfalls unverändert. Was also, so fragten wir uns, hat zu den Veränderungen geführt. Meiner Meinung nach war die Botschaft dieser Episode, dass die Argumente für eine „diesmal andere Situation“ fieberhafte Züge angenommen hatten (d.h. die Argumente, warum die Geldpolitik sich nicht umkehren lässt und welche benutzt wurden, um die extreme Übergewichtung von Staatsanleihen und festverzinslichen Instrumenten im Allgemeinen zu rechtfertigen). Als die Erkenntnis dämmerte, dass uns Nullzinsen und permanente quantitative Lockerungsmaßnahmen nicht notwendigerweise für Ewigkeiten erhalten bleiben, kam es zu einem herdenhaften Fluchverhalten. Jeder wollte aussteigen, und zwar schnell.
Das „Bund Tantrum“ vom April 2015 war von daher ähnlich, dass die Renditen auf deutsche, britische und US-amerikanische Staatsanleihen alle deutlich angestiegen sind. Bund-Renditen gingen im April um 20 Bp nach oben, gefolgt von einem 60 Bp Anstieg zwischen April und Juni. Auch hier gleichzeitig ein stark gemischtes Bild für Unternehmensanleihen. Es ist nicht einfach, aus dieser Periode etwas zu lernen, außer der Beobachtung, dass Bankanleihen auf die steigenden Renditen überdeutlich negativ reagierten. Wie anders doch aber heute alles ist!
Der Blick zurück auf dieses Ereignisse macht es nicht viel einfacher, den Katalysator für den Ausverkauf auszumachen. Die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen fielen auf 0,1%, waren aber dann zwei Monate später wieder auf 1% – ein Verlust von ca. 0,9%. In diesem Fall würde ich behaupten, dass die Positionierungen vor dem Hintergrund negativer Inflation und dem Beginn der quantitativen Lockerungen sehr lang geworden sind. Bei 0,1% rückten die langfristigen Bewertungsüberlegungen wieder in den Vordergrund und die Investoren begannen mit dem Verkauf. Und dann verkaufte jeder. Und wieder sehr schnell. Was auch immer der Grund sein mag, der Ausverkauf sollte uns als Mahnung dienen: Die Marktstimmung kann sich plötzlich und ohne einen offensichtlichen Auslöser ändern.
Wie bereits gesagt, sehe ich viele Parallelen zwischen der Gegenwart und den Perioden, die zu Ausverkäufen geführt haben. Die Argumente, dass „diesmal alles anders sei“ – warum die Zinsen nicht steigen, die lockere Geldpolitik nicht zum Stillstand kommt, Inflation nirgends zu sehen ist und die Preise für Staatsanleihen nicht fallen können – sind im Überfluss vorhanden. Sie dienen als Rechtfertigung für den Kauf von Renditen und Duration, selbst zu Zeiten mit Anfangsbewertungen auf einem extremen Niveau. Wir sahen dies in 2013 und im Frühjahr 2015, als die Ausgangsbewertungen vor diesen Wutanfällen nicht so extrem waren wir gegenwärtig. Sich dieser Ähnlichkeiten ebenso bewusst zu sein wie den aktuellen Bewertungen sollte uns meiner Meinung nach Vorsicht walten lassen.
Es ist entmutigend, sich die Nachrichten über die Weltwirtschaft anzuschauen. Fragen Sie einen Ökonomen, was ihm oder ihr bei dem Wort „Europa“ in den Sinn kommt, dann beinhaltet die Antwort wahrscheinlich Überlegungen zu Negativzinsen, Deflation und Verschuldungssorgen. Viel besser wird es auch nicht, wenn man den Wirtschaftsausblick für die USA („die anstehenden Wahlen sind Anlass zur Besorgnis“), Japan („die BoJ ist mit der Geldpolitik an ihre Grenzen gekommen“), Großbritannien („Geschäftsklima und Verbrauchervertrauen werden durch den Brexit belastet“) oder China („das Bankensystem könnte implodieren“) anspricht. Es scheint, als gäbe es in dieser Zyklusphase wenig Anlass für Optimismus.
Pessimismus ist in der menschlichen Psyche fest verankert. Das ist auch der Grund, weshalb Zeitungen mit alarmierenden Schlagzeilen Leser gewinnen. Seit Menschengedenken ist die Welt übersät von apokalyptischen Vorhersagen wie Atomkrieg, Viren aus der Luft und dem Jahr-2000-Problem. Dass diese Vorhersagen nicht eingetroffen sind, bedeutet nicht, dass die gegenwärtigen Sorgen unbegründet sind. Doch trotz all der Schwarzmalerei gibt es für die Zukunft der Weltwirtschaft auch Grund zum Optimismus.
Niemals zuvor war die Welt so vernetzt wie heute. Das Internet verändert die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, gestalten und Gedanken austauschen. Laut Schätzungen haben 46% der Weltbevölkerung mittlerweile von zu Hause Zugang zum Internet, im Jahr 2000 waren es nur 6,8%. Bis 2017 sollen etwa 3,4 Mrd. Menschen online sein.
Ein vermehrter Zugang zum Internet ist insofern wichtig, als dass er sowohl in entwickelten als auch in aufstrebenden Volkswirtschaften zum Wirtschaftswachstum beiträgt. Das Internet fördert den Informationsfluss, Innovationen, Zugang zu Finanzkapital, Unternehmertum und Arbeitsverbesserungen. Daraus ergibt sich eine höhere Arbeitsproduktivität sowie ein effizienterer Kapitaleinsatz. Laut eines Berichts mit dem Titel Value of Connectivity schätzt man bei Deloitte, dass ein größerer Internetzugang in der aufstrebenden Welt zu einem zusätzlichen BIP in Höhe von 2,2 Billionen US-Dollar (dies entspricht der Wirtschaftsleistung Italiens) sowie zu mehr als 140 Millionen neuen Arbeitsstellen (dies entspricht fast der Gesamtbevölkerung Russlands) führen könnte.
Die Erweiterung des Internetzugangs kann auch bei der Bekämpfung extremer Armut eine wichtige Rolle spielen. Nach Schätzungen der Weltbank fiel im Jahr 2015 die Anzahl der Menschen, die weltweit in extremer Armut leben (weniger als 1,90 US-Dollar am Tag), auf unter 10% der Gesamtbevölkerung. In den letzten 35 Jahren ging die Armutsquote signifikant zurück, was sich zeitlich mit dem stärker verbreiteten Internetzugang in der aufstrebenden Welt deckt. Entwicklungsländer sind aufgrund ihres besseren demografischen Profils und zunehmenden Wohlstands der Unter- und Mittelschicht in der Lage, langfristig ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum zu erzielen.
Des Weiteren produziert das Internet einige Superreiche und damit einhergehend eine Vielzahl von ambitionierten philanthropischen Initiativen. Die Chan Zuckerberg Initiative (von Facebook) kündigte das Ziel an „bis zum Ende des Jahrhunderts alle Krankheiten zu heilen, vorzubeugen und zu bewältigen.“ Das Vorhaben ist ehrgeizig, aber die Ankündigung lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie Wissenschaftler mit vereinten Kräften versuchen, immense Herausforderungen unter dem Banner der „Grundlagenforschung“ mit Fokus auf dem Gewinn neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu lösen.
Durch eine Ausrichtung auf die Grundlagenforschung ergaben sich vorteilhafte Aspekte wie die Entwicklung der Lasertechnologie, GPS, Multi-Touch-Displays und Suchmaschinen. Sie führte auch zu der Entdeckung des ersten menschlichen Krebsgens. Darüber hinaus gibt es einen enormen wirtschaftlichen Nutzen. Das US National Institute of Health schätzt, dass jeder Dollar, der für die Grundlagenforschung ausgegeben wird, einen Ertrag zwischen 10 US-Dollar bis über 80 US-Dollar einbringt. Wohlhabende Philanthropen wenden sich zusammen mir Regierungen vermehrt der Grundlagenforschung zu und etwaige Durchbrüche könnten den Lebensstandard für Milliarden Menschen auf der ganzen Welt verbessern. Neue Entdeckungen, neue Industrien, neue Jobs.
Natürlich ist es schwer, anhand des BIP zu messen, welchen Nutzen viele der technologischen Durchbrüche haben und haben werden. Das BIP ist konzipiert, um Dinge in Zahlen zu fassen, die zu einem bestimmten Marktpreis ausgetauscht wurden. Man kann damit nicht die Verbreitung von Ideen oder die Zunahme von Wissen einer Person messen, die zum ersten Mal auf Wikipedia zugreift, ebenso wenig wie die Zeit- und Kostenersparnis dadurch, dass man nicht zum Reisebüro fahren musste, um einen Flug zu buchen. Aufgrund der technologischen Innovation werden Produkte günstiger (oder sogar kostenlos), weshalb das BIP den Fortschritt der Weltwirtschaft womöglich immer weniger zutreffend erfasst. Die Lücke zwischen dem, was gemessen werden kann und unseren tatsächlichen Erfahrungswerten wird immer weiter auseinander gehen (lesen Sie zu diesem Thema auch das Interview mit Diane Coyle, Autorin von GDP: A Brief but Affectionate History).
Die Vorteile durch das Internet, weltweit verbesserte Lebensstandards und mögliche Durchbrüche in der Grundlagenforschung sollten ausreichen, um jeden einzelnen Marktteilnehmer zu kurieren, der des Armageddons überdrüssig ist. Vielleicht sind diese Entwicklungen kein Heilmittel für die Sorgen über die kurzfristigen Grenzen der Geldpolitik, sie lassen jedoch darauf schließen, dass viele Menschen auch weit in der Zukunft in Wohlstand leben werden.