Sollten wir uns um den jüngsten Anstieg der Kapazitätsauslastung Sorgen machen?

In den letzten Jahren hat die Kapazitätsauslastung als Frühindikator für die Entwicklung der Inflation und damit auch der Zinsen zunehmend an Bedeutung verloren. Schließlich haben die enormen Überschusskapazitäten, die in den Jahren 2009 und 2010 in den etablierten Industrienationen zu beobachten waren, auch nicht zu jener ausgeprägten Deflation geführt, die viele eigentlich erwartet hatten. Stattdessen richten die meisten Volkswirte und Investoren ihr Augenmerk mittlerweile erwartungsvoll auf die Zahlen zum US-Arbeitsmarkt, da die US-Notenbank ihre Zinspolitik zuletzt ja an einen Schwellenwert bei der Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent gekoppelt hat. Ist es also an der Zeit, den Faktor Kapazitätsauslastung ein für allemal in der wirtschaftshistorischen Versenkung verschwinden zu lassen? Vielleicht wäre dies etwas voreilig, denn die Kapazitätsauslastung zu ignorieren, birgt durchaus auch Risiken.

Jeden Monat veröffentlicht die US-Notenbank für das produzierende Gewerbe, den Bergbausektor sowie das Segment Versorger eine prozentuale Kapazitätsauslastungsrate. Dabei wird letztlich die tatsächliche Produktionsleistung durch die vorhandenen Kapazitäten (die für die maximale Produktionsleistung ausgelegt sind) dividiert. In der Regel basieren die Zahlen zu den vorhandenen Kapazitäten auf physischen Produktionsdaten aus staatlichen und branchenspezifischen Quellen oder aber – falls keine konkreten Produktionszahlen vorliegen – auf den entsprechenden Angaben in der vierteljährlichen Umfrage zu den Produktionskapazitäten der staatlichen Statistikbehörde. Die Verwendung des Faktors Kapazitätsauslastung als Frühindikator für die inflationäre Entwicklung beruht auf folgender Grundannahme: In Phasen einer boomenden Wirtschaft nähert sich die Produktionsleistung der Fabriken tendenziell einer maximalen Kapazitätsauslastung an. Dadurch gerät das güterproduzierende Kapital zunehmend unter Druck. Dann können eine überschüssige Nachfrage und ein knappes Angebot im Falle eines Ausfalls von überlasteten Produktionsanlagen dazu führen, dass Produkte knapp werden, wodurch wiederum die Preise und der Inflationsdruck nach oben getrieben werden. Eine ausführlichere Erläuterung dieses Phänomens finden Sie in Kapitel 4 des Buches „The Trader’s Guide to Key Economic Indicators“ von Richard Yamarone aus dem Jahr 2012.

Vor dem Ausbruch der Finanzkrise Ende der 2000er Jahre schien die US-Notenbank dieser Argumentation zu folgen. Wie die erste Grafik zeigt, erfolgten starke Anhebungen des Leitzinses (wie beispielsweise im Januar 1994 und im Juli 2005), die durch die weiß gepunkteten Linien dargestellt werden, nach Phasen einer steigenden Kapazitätsauslastung. Seit 2008 existiert dieser Zusammenhang aber offensichtlich nicht mehr. Denn obwohl die Kapazitätsauslastung von 66,9 Prozent aus dem Juni 2009 bis Februar 2013 um mehr als 11 Prozentpunkte auf 78,3 Prozent zugelegt hat, wurde der US-Leitzins bei fast 0 Prozent belassen. An dieser Stelle könnte man anführen, dass die absolute Kapazitätsauslastung trotz des beträchtlichen Anstiegs (in Form eines Abbaus von Überschusskapazitäten) der letzten Jahre immer noch unter der psychologisch wichtigen Marke von 80 Prozent liegt. So war die Kapazitätsauslastung vor der Zinserhöhung aus dem Jahr 1994 und dem darauf folgenden „Tod des Anleihenmarktes“ mit 82,4 Prozent (aus dem Januar 1994) wesentlich höher als momentan. Ich halte dieses Argument allerdings für nicht wirklich überzeugend, weil der letzte ausgeprägte Zinsanhebungszyklus der Fed bei einer Kapazitätsauslastung von lediglich 77,9 Prozent (aus dem Juli 2004) einsetzte – einem Niveau, das 0,4 Prozent unter dem aktuellen Auslastungsgrad liegt.

Und dann kam die Krise…

Ein weiterer Aspekt, den man in diesem Zusammenhang berücksichtigen sollte, ist die Beziehung zwischen der Kapazitätsauslastung und den Investitionsausgaben der Unternehmen. Es könnte ja durchaus sein, dass die US-Firmen ihre Investitionspläne einfach zurückgefahren und beschlossen haben, ihre Produktionsstätten und -anlagen erst nach der Finanzkrise zu erneuern, weil sie ihre finanziellen Sicherheitspolster nicht antasten wollten. In diesem Fall wäre eine steigende Kapazitätsauslastung lediglich ein daraus resultierender Nebeneffekt und kein wirklicher Indikator für eine Konjunkturerholung oder einen Inflationsdruck. Die zweite Grafik zeigt sowohl die Kapazitätsauslastung als auch die vierteljährlichen Veränderungen bei den Anlageinvestitionen (exkl. Immobilien) ab 2009. Angesichts einer steigenden Kapazitätsauslastung stiegen die Investitionsausgaben bereits im Jahr 2009 zusehends an, bevor sie im I. Quartal 2010 dann sogar ins Plus drehten. In den darauf folgenden drei Jahren haben die Unternehmen ihre Investitionen in 10 von 12 Quartalen gesteigert. Auf Quartalsbasis leicht negative Veränderungen waren mit -1,3 Prozent und -1,8 Prozent lediglich im I. Quartal 2011 sowie im III. Quartal 2012 zu verzeichnen. Wir möchten zudem darauf hinweisen, dass der Rückgang der Investitionsausgaben zwischen dem III. Quartal 2011 und dem III. Quartal 2012, der in einem Bericht des Wall Street Journal aus dem November 2012 thematisiert wurde, mit dem Anstieg von 8,4 Prozent im IV. Quartal 2012 ein jähes Ende fand. Unter Berücksichtigung der Investitionsausgaben kann der jüngste Anstieg der Kapazitätsauslastung also keinesfalls durch rückläufige Unternehmensinvestitionen hervorgerufen worden sein. Aus diesem Grund sehe ich in diesem Anstieg der Kapazitätsauslastung tatsächlich ein deutliches Signal für eine anhaltende US-Konjunkturerholung.

Kann die steigende Kapazitätsauslastung mit rückläufigen Investitionsausgaben erklärt werden?

Obwohl sich die US-Notenbank derzeit offenbar ausschließlich auf die Arbeitslosenquote fokussiert, lohnt es sich meiner Meinung nach, die Entwicklung der Kapazitätsauslastung im Auge zu behalten. Denn falls die Kapazitätsauslastung weiter ansteigen sollte und auch noch durch ein Wachstum der Investitionsausgaben seitens der Unternehmen gestützt würde, hätte dies vermutlich einen Inflationsdruck zur Folge, vor dem die Fed dann nicht mehr auf ewig die Augen verschließen könnte.

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Wolfgang Bauer

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